Tarek Alghamian (links) ist Moderator bei "badluck" im Hamakom Wien, wo Flüchtlinge berichten – initiiert von Natascha Soufi (Mitte) und inszeniert von Karl Baratta. An eine Fortsetzung wird gedacht.

Fotos: Robert Newald

STANDARD: Es gibt viele Theaterstücke, in die Migrantinnen und Migranten involviert sind. Kann man "badluck" etwa mit Jacqueline Kornmüllers "Die Reise" am Volkstheater vergleichen, in dem Menschen von ihrer Flucht erzählten?

Soufi: Nein, kann man nicht. Denn all diese Erzählungen sind letztlich als Theaterstücke erarbeitet worden. Bei uns dient das Theater als Speaker's Corner: Theater als erhöhter und geschützter Freiraum. Zusätzlich sind viele unserer Asylsuchenden Kunstschaffende. Wir haben an das Stück "badluck" angeknüpft, das irakische Schauspieler, jetzt Asylsuchende, in Bagdad produziert und nach Wien "mitgenommen" haben.

STANDARD: Wie haben Sie die Mitmachenden ausgewählt?

Soufi: Ich habe im letzten Jahr viele Schutzsuchende kennengelernt und dabei festgestellt, dass "die Flüchtlinge" ganz anders sind, als es mir bis dahin vermittelt worden war. Mir wurde klar, dass diese Menschen dringend eine Möglichkeit benötigen, zu zeigen, wer sie sind. Ich habe Unterbringungsstätten besucht und nach jenen gesucht, die gerne erzählen.

Baratta: Bei einem Gespräch waren auch zwei irakische Theatermacher dabei, die in ihrem Stück "badluck" bereits das gemacht haben, was wir hier weiterführen: Sie haben Kollegen nach eigenen Erfahrungen befragt. Das war die Initialzündung für uns.

STANDARD: Wie haben Sie Tarek Alghamian gefunden?

Baratta: Tarek habe ich über die Hilfsorganisation Train of Hope gefunden. – Wie würdest du denn deine Rolle an dem Abend beschreiben?

Alghamian: Ich bin der Showmaster. Zum allerersten Mal.

STANDARD: Hat Sie Theater schon immer interessiert?

Alghamian: Ja, aber noch mehr interessiert es mich, meine Botschaft loszuwerden. Es ist sehr schwer, zu einer anonymen Masse gezählt zu werden, der stets mit Angst begegnet wird. Ich möchte zeigen, dass wir bis zum Kriegsbeginn auch ein ganz normales Leben hatten. Seit sieben Monaten warte ich auf meinen Asylbescheid und kann nicht arbeiten, nicht studieren, nur warten.

STANDARD: Wie schaffen Sie das?

Alghamian: Ich habe zum Glück viele österreichische Freunde, wir lernen voneinander. Und ich bin auch in einem Proficlub des österreichischen Tischfußballs.

STANDARD: Es geht in "badluck" dezidiert um Erfahrungen in der aktuellen Flüchtlingsnot?

Baratta: Ja, und vor allem um die Erfahrungen vor Ort in den Heimatländern. Um diese Menschen zu begreifen, ist es notwendig, sie in ihren ursprünglichen Zusammenhängen zu sehen und nicht nur als Masse von Bittstellern, sondern mit ihren ganz realen Berufen, Beziehungen, Familien.

Alghamian: In "badluck" erzählen wir von unserem täglichen Leben und davon, wie es verschwand. Es ist schmerzhaft, das einzugestehen. Das ist das Herz des Abends.

Baratta: Es gibt ja immer die offizielle und die andere Geschichtsschreibung. Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat mit ihren Tatsachenberichten ja auch eine andere Geschichte der Sowjetunion geschrieben. Die ist unheimlicher, plastischer, unzusammenhängender, aber eben realer. In diese Richtung gehen wir.

Soufi: Zum Beispiel Künstler; sie erhalten mit ihrer Kunst die Mitmenschen innerlich am Leben.

Baratta: Die Sängerin Nour Khoury hat einmal ein Konzert in Damaskus gegeben – zum Bombenlärm draußen. Dieses Lied wird sie in "badluck" singen.

Alghamian: Der Bombenlärm wurde Alltag. Wir Zivilisten wussten nie: Wer zerbombt uns gerade!?

STANDARD: Asylsuchende sind keine homogene Gruppe. Welches Bild ergeben die von Ihnen präsentierten Berichte?

Baratta: Es sind individuelle Standpunkte, die sich in der politischen Orientierung klar voneinander unterscheiden. Aber es geht uns ja nicht um Interpretation, sondern um authentische Berichte, wie man etwa von Stunde zu Stunde ein Ereignis erlebt hat. Das ergibt ein Mosaik von Einzelwahrnehmungen.

STANDARD: Ist der Abend auch dazu da, um das mediale Bild von Asylsuchenden zu schärfen?

Soufi: Auf alle Fälle, um es zu ergänzen. Das, was ich im letzten Jahr in den vielen Begegnungen kennengelernt habe, das hat mit diesem Medienbild nicht zusammengepasst. Viele sind sehr gut ausgebildet, viele sind Künstler. Das vorherrschende Bild ist aber meist ein anderes.

Baratta: Zudem: Die meiste Kommunikation mit Flüchtlingen ist sehr zweckorientiert, findet unter Zeitdruck oder sonst irgendwie eingeengt statt. Es gibt also keine Räume, wo sich geflüchtete Menschen ihren Bedürfnissen entsprechend äußern können. Gerade wenn ein Gespräch nicht zielgerichtet ist, bringt es oft mehr Erkenntnisse. Diese freie Luft rundherum möchten wir gewähren.

STANDARD: Wie sind die Berichte entstanden? Wie strukturiert?

Barratta: Wir haben uns regelmäßig getroffen und erzählt. Ich habe das aufgezeichnet. Die Ausgangsstruktur gibt das Originalstück aus Bagdad vor.

STANDARD: Wie sind Sie nach Österreich gekommen, Tarek?

Alghamian: Über die Türkei und dann über das Meer. Wir haben dieses Risiko in der Not einfach auf uns genommen.

STANDARD: Was haben Sie in der Zusammenarbeit gelernt?

Baratta: Ich habe gelernt, dass die Wirklichkeit nicht so ausschaut, wie man sie im Kopf hat. Die Widersprüche sind anders strukturiert. Tarek zum Beispiel saß wegen einer Betrugsaffäre im Gefängnis, die man ihm unterstellt hat. Er kam also als ganz unpolitischer Mensch mit der Höllenmaschine dieses Staates direkt in Kontakt. Das ist für mich Insiderwissen. Die Realität, die wir zu kennen glaubten, verhält sich zur Realität, die wir nun kennengelernt haben, wie ein Zeitungsartikel zu einem komplexen Roman.

Alghamian: Ich möchte der Europäischen Union danken, dass sie die Grenzen geöffnet hält, während die arabischen Staaten, deren Flüchtlinge wir früher immer aufgenommen haben, jetzt ihre Grenzen dichtgemacht haben. Das ist keine leichte Situation. Ich wollte unbedingt nach Österreich. Das Land ist für seine Kultur berühmt, seine Landschaft. In meinem zweiten Monat hier bin ich gleich nach Tirol gefahren und habe die Berge bestiegen. Über den Wolken war es himmlisch. (Margarete Affenzeller, 10.2.2016)