Man kann sich schöneres vorstellen, als wegen eines falschen Geständnisses jahrelang im Gefängnis zu sitzen, besonders, wenn es daran lag, dass man nicht ausgeschlafen war. So geschehen einem US-Amerikaner, dessen Stiefcousine 1996 ermordet aufgefunden wurde. Der damals 22-jährige Damon Thibodeaux wurde verdächtigt und bestritt die Tat, doch nach einem Lügendetektor-Test, der angeblich auf seine Schuld hinwies, und einem neunstündigen Verhör war er geständig. Die Nacht zuvor hatte er zusammen mit seiner Familie bereits schlaflos auf der Suche nach der damals noch verschwundenen Cousine verbracht. Dass seine Falschaussage widersprüchlich zum Tathergang war, fiel den Ermittlern offenbar nicht auf, und so wurde er zu Einzelhaft im Todestrakt verurteilt.
Abgesehen von den übrigen zweifelhaften Vorgängen wäre es vielleicht zu gar keinem falschen Schuldgeständnis und einer darauf basierenden Verurteilung gekommen, wenn Thibodeaux kein Schlafdefizit gehabt hätte. Dafür sprechen die Ergebnisse einer Studie, die der Leiter des Instituts für Kriminologie der Universität Cambridge, Lawrence Sherman, als "Meilenstein" bezeichnet, da sie in zukünftigen Gerichtsverhandlungen Erwähnung finden wird.
Unterschriebene Schuldgeständnisse
Ein amerikanisches Forscherteam rund um Kimberly Fenn verglich in der Fachzeitschrift "PNAS" das Verhalten von 88 ausgeschlafenen oder nachts wach gehaltenen Studierenden, nachdem ihnen unterstellt wurde, dass sie Studiendaten am PC durch das Drücken der Escape-Taste gelöscht hätten. Als sie aufgefordert wurden, zu unterschreiben, dass sie schuld an den verlorengegangenen Daten seien, willigten 18 Prozent der ausgeschlafenen Teilnehmer ein. Bei den schlaflosen Studenten waren es aber rund 4,5-mal so viele. Darüber hinaus wirkte sich die Müdigkeit besonders auf diejenigen aus, die bei einem kognitiven Test schlechter abgeschnitten hatten. Sie unterschrieben wesentlich häufiger das falsche Geständnis.
Auch wenn an der Probandenwahl kritisiert wird, dass Häftlinge und keine Studierenden hätten untersucht werden müssen, ist die Arbeit nach Einschätzung von Saul Kassin vom New Yorker College of Criminal Justice wichtig: "Sie schließt eine Forschungslücke und zeigt erstmals, dass Schlafentzug zu falschen Schuldeingeständnissen führen kann." Frühere Erkenntnisse über die Auswirkungen von Schlafmangel, etwa von der Universität Tel Aviv, weisen darauf hin, dass Schlafentzug für eine veränderte Wahrnehmung neutraler Reize sorgt. Über bildgebende Verfahren wurde festgestellt, dass ein Teil des Gehirns, der Emotionen reguliert, bei starker Müdigkeit nicht in der Lage ist, emotionale Reaktionen zu kontrollieren.
Kurzfristige Maßnahme mit schwerwiegenden Folgen
Ob eine verdächtige Person sich beschuldigt oder nicht, spielt sogar für die Psychologie von Augenzeugen eine Rolle. Wenn Menschen, die einem Beschuldigten für einen bestimmten Zeitraum ein sicheres Alibi geben können, von dessen falschem Geständnis hören, sind nur noch 45 Prozent von ihnen dazu bereit, bei ihrer Entlastung zu bleiben. Zu diesem Ergebnis kam eine ebenfalls diesen Monat erschienene Studie.
Es wird geschätzt, dass 15 bis 25 Prozent der in den USA unrechtmäßig Verurteilten sich selbst beschuldigt haben. Warum sie dies überhaupt tun, erklärt Kassin: "Die Verdächtigen sehen es normalerweise als kurzfristige Maßnahme. Sie denken, dass ihre Unschuld offensichtlich wird, wenn alle Beweise auf dem Tisch liegen. Sie rechnen nicht damit, dass sie am Ende für das Geständnis bestraft werden."
Der Schlafentzug könnte nicht nur ungewollt dazu beitragen, er wurde in der Vergangenheit auch absichtlich als Verhörmethode von Polizei und Militär angewendet und gilt in einigen Fällen als Folter. Fenn und ihre Kollegen sprechen sich für ein Verbot der Befragung übermüdeter Personen und eine verpflichtende Videoaufzeichnung zur Dokumentation der Verhältnisse aus. Sie vermuten, dass so die Zahl der falschen Geständnisse zurückgehen und weniger Unschuldige ins Gefängnis bringen könnte. Damon Thibodeaux konnte schließlich nach 15 Jahren durch einen DNA-Beweis entlastet werden. (sic, 14.2.2016)