Der neue Gastraum mit dänischen Designklassikern und weitem Blick auf die grünen – jetzt weißen – Rinderweiden bei Mariazell.

Foto: Majken Corti

Das Kalbskotelett: ohne falsche Schüchternheit knusprig gebraten, der satte Fettrand von unanständiger Buttrigkeit.

Foto: Majken Corti

Seit mehr als 25 Jahren macht sich eine andere Art von Pilgern auf nach Mariazell: Freunde echt guten Rindfleischs aus Weidehaltung, wie man es auch in unserem Land der Wiesen und Almen lange suchen muss. Und Verehrer einer geradezu mythisch kraftvollen, klaren Flüssigkeit. Die Rindsuppe beim Lurgbauern in St. Sebastian ist ein Konzentrat fleischlichen Wohlgeschmacks, wie es auch fokussierte Österreicher, die in dieser Hinsicht Heimvorteil haben, kaum je kosten konnten – nicht einmal, wenn sie sich selber welche kochen.

Das rührt daher, dass Familie Leodolter sich der Angus-Ochsen-Haltung verschrieben hat und die Rinder ausschließlich für Verwendung im hauseigenen Wirtshaus schlachtet. Daraus ergibt sich ein erheblicher Teil allerfeinsten Suppenfleischs von langsam gewachsenen, sorgfältig gereiften Schlachttieren, das unter minimaler Zugabe von Knochen über 24 Stunden in riesigen Suppentöpfen siedet, bis aller Saft, alle Kraft in diesen Zaubertrank von einer Rindsuppe übergegangen ist.

Ja, das will man gekostet haben, genau so wie die anderen Gerichte, die Juniorchef Max Leodolter aus dem Fleisch der Tiere schafft. So wunderbar wie hier gehen Landwirtschaft – die Max' Bruder Sepp über hat – und Gastwirtschaft kaum je eine Symbiose ein.

Groß umgebaut

Seit zwei Monaten gibt es noch einen Grund mehr, den Weg über die Berge in die Lurg auf sich zu nehmen. Da haben die Leodolters nämlich ihr Gasthaus nach großem Umbau neu eröffnet. Die Küche wurde vergrößert, der Gastraum ebenso: Ein lichtdurchfluteter Kubus schmiegt sich nun ins Eck des behäbigen Bauernhauses, die Terrasse mit (bald wieder!) malerischem Blick ist deutlich großzügiger geworden.

Wie stets beim Lurgbauern ist das mit großem Stilbewusstsein und klarer, unaufdringlicher Formensprache in die Substanz gefügt worden, ohne jeden Anflug brachialrustikalen Kitsches, wie er sich sonst bei inneralpinen Wirten breitmacht. Eine Wand wurde vom Lehmbauer Hans Paal gestaltet, ihre grobe, organische Struktur, bei der auch Strohfasern sichtbar sind, kontrastiert auf stimmige Art mit der kühlen Eleganz der Wegener-Stühle und einem Schwarz-Weiß-Porträt des eigentlichen Stars dieses Ortes: ein Angus-Ochse, was sonst.

Vom Angus-Kalb gibt es Züngerln, unheimlich dicht und zart im Geschmack, mit Karfiolcreme und ein paar knackigen, mit Bröselbutter betupften Rosen. Carpaccio wird, anders als die langweilige Vorspeise im Szenelokal, echt ernsthaft behandelt: in dünnen, aber keinesfalls zu dünnen Schnitten zimmerwarm auf den Teller gelegt, mit nichts als Salz, Pfeffer, Walnussöl und gehobelter Belper Knolle gewürzt – so kann die mürbe, reife Kraft dieses fantastischen Fleisches entsprechend gewürdigt werden.

Buttriger Fettrand

Rindsroulade mit Nockerln ist, wie an diesem Ort nicht anders zu erwarten, ein wuchtiges Monument verfeinerter Hausmannskost: herrlich saftiges Fleisch, mit wenig, zartem Speck, Lauch und Karotte gefüllt und mit dichtem Saftl umkränzt, so viel, dass man irgendwann nicht mehr "muh" sagen kann.

Wenn da nicht das Kalbskotelett wäre (siehe Bild): ohne falsche Schüchternheit knusprig gebraten, der satte Fettrand von unanständiger Buttrigkeit, das Fleisch so zart und doch kraftvoll, wie man es sonst nur in allerbesten Kalbfleischländern zu erhoffen wagt. Nein, eigentlich noch besser als in Frankreich oder Italien. Dazu gibt es eine knappe, aber sehr klug zusammengestellte Weinkarte mit ein paar ganz herausragenden, gereiften Flaschen. Dass man in den wunderschön adaptierten Zimmern des alten, nebenan gelegenen Bauernhauses übernachten kann, wissen leider viel zu viele Pilger. (Severin Corti, RONDO, 12.2.2016)