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EU-Ratspräsident Donald Franciszek Tusk und der sozialistische albanische Premier Edi Rama. Albanien hofft auf den Kandidatenstatus.

Foto: APA/EPA/ALBANIAN GOVT. PRESS OFF

Tirana/Sarajevo – Eine Cartier-Uhr sei noch lange kein Luxus, glaubt der Richter. In Albanien – wo das Durchschnittseinkommen bei 360 Euro liegt – kann sich eigentlich niemand eine Cartier-Uhr leisten. Das Vermögen des Chefs des Berufungsgerichts von Tirana, Alaudin Malaj, wird aber auf 1,7 Millionen Euro geschätzt, berichtet die Plattform Balkaninsight. Laut dem albanischen Inspektorat für Vermögenserklärungen und Interessenkonflikte hat Malaj den Großteil dieses Geldes auf illegalem Wege angehäuft.

Die Albaner wissen, dass Bestechung und Bestechlichkeit zum Alltag gehören. Zu den Gerichten haben sie realistischerweise wenig Vertrauen. Die jetzige Generalstaatsanwaltschaft ist zudem dafür bekannt, dass kaum Verfahren gegen Beamte und Politiker geführt werden. Die Justizreform gilt daher als das Kriterium für die Erlangung des EU-Kandidatenstatus und wird beim Besuch von Außenminister Sebastian Kurz in Tirana, der heute, Mittwoch beginnt, zentral sein. Die EU will bis Sommer Ergebnisse sehen.

Politischer Einfluss

Der Kern des Vorhabens ist die Veränderung von fünf Verfassungsartikeln, um die Struktur umzukrempeln. Ein Hoher Justizrat soll den politischen Einfluss der Richter dezimieren, indem sie überwacht werden. Auch die Höchstgerichte und das Verfassungsgericht bekommen neue Funktionen. Der Generalstaatsanwalt soll sich mehr auf Korruptionsbekämpfung konzentrieren. Auch die Rolle des Staatspräsidenten bei der Ernennung soll geändert werden. Die Richtervereinigung wehrt sich gegen das geplante Monitoring.

Umsetzungsstrategie fehlt

Das Hauptproblem ist aber laut Insidern ein ganz anderes: Bislang fehlt eine Strategie für die Umsetzung der Reform sowie Geld und Personal, um all dies zu schaffen. Die Leute müssen geschult werden und Büros bekommen. Man scheint an einem Skelett zu bauen und die Muskeln zu vergessen. Die Verfassungsänderungen ziehen zudem weitreichende Folgen nach sich. Insgesamt müssen 70 weitere Gesetze verändert werden. "Davon sehe ich überhaupt nichts", sagt ein Experte, der anonym bleiben möchte. Man würde zu viel Augenmerk auf die Richter und Staatsanwälte legen. "Doch selbst wenn man korrupte Leute identifiziert und rausschmeißt, hilft das noch nichts, weil das System das gleiche bleibt", so der Diplomat. "Es geht um eine neue Kultur von Rechtsstaatlichkeit, um Vertrauen, das nur entsteht, wenn allen klar ist, dass man einfach nicht bestechen darf."

In Südosteuropa hingegen können sich viele Menschen gar nicht vorstellen, dass etwas ohne Korruption funktioniert. Viele haben ihre Jobs irgendwelchen Beziehungen oder Parteimitgliedschaften zu verdanken. Der Widerstand gegen Reformen hat auch damit zu tun, dass manche durch diese verlieren würden.

Das jetzige Gesetzespaket wird nicht nur von albanischen Experten, sondern auch von Vertretern der EU, der USA und des Europarats erarbeitet und gilt als ambitiös. Die Regierung braucht für die Verfassungsänderungen jedoch einige Oppositionspolitiker – insgesamt 93 der 120 Abgeordneten müssen zustimmen. Die Verfassungsreform wird auch danach bewertet, welche Partei davon profitieren könnte. Die Opposition ist vor allem dagegen, dass die Generalstaatsanwaltschaft und die Sonderstaatsanwaltschaften, die die Korruption bekämpfen sollen, stärker kontrolliert werden.

Referendum möglich

Manche Politiker haben auch Angst, dass sie selbst drankommen könnten. Rama muss damit rechnen, dass die Opposition bei der Verfassungsreform nicht mitmacht. Gedacht ist deshalb bereits daran, dass man die Änderungen im Justizsystem mittels eines Referendums umsetzt. Das hätte zumindest den Vorteil, dass dann in der Öffentlichkeit mehr über das Thema Korruption geredet wird. (Adelheid Wölfl, 10.2.2016)