Immer wieder wird in verschiedensten Medien in den letzten Wochen das Szenario durchgespielt, was passieren würde, wenn Deutschland oder Österreich die Grenzen schließen würde. Von Polizeieinsatz und Zäunen ist die Rede. Die Debatte zeigt, dass manche weniger europäisch denken, als es der Realität entspricht. Es wird so getan, als hätte sich nicht längst eine effektive und rasche Kommunikation über den Kontinent entwickelt, die sofort Konsequenzen an vielen Stellen hervorruft.
Übersehen wird vor allem, dass die auf der sogenannten Balkanroute liegenden Staaten ihre Grenzen auch sofort schließen würden, sollten Deutschland oder Österreich dies tun.
Diese Staaten reden seit Monaten nämlich über nichts anderes. Und dieser Dominoeffekt hätte zur Folge, dass eigentlich bald alle wieder ihre Grenzen öffnen könnten – ausgenommen Mazedonien im Süden, dort wo es an Griechenland grenzt. Damit wäre auch nicht das Schengensystem in Gefahr, dann gäbe es auch keine Staus von Lastwagen in Mitteleuropa, die ihre Waren nicht rechtzeitig liefern können. Eine Grenzschließung im Süden würde nämlich reichen.
Eng vernetzt
Die positive Nachricht ist: Die Zusammenarbeit zwischen den Staaten funktioniert so gut wie noch nie zuvor – auch wenn es sich zuweilen um Nachbarn handelt, die sich nicht gerade mögen – wie etwa Serbien und Kroatien oder Mazedonien und Griechenland. Doch die Zeiten im Vorjahr sind längst vorbei, als die Regierungen einander wüst beschimpften. Auch die EU-Kommission hat dazu beigetragen, dass die Regierungschefs und Innenminister nun eng vernetzt sind. Es ist einfach nicht wahr, dass Europa keine Solidarität übt in der Flüchtlingskrise.
Im Gegenteil: Man stimmt sich tagtäglich ab. Seit Monaten nehmen Staaten, die nicht einmal in der EU sind, Rücksicht auf die Wünsche von Aufnahmestaaten im Norden, die tausende Kilometer entfernt sind – so lassen sie etwa nur mehr sogenannte Kriegsflüchtlinge durch. Seit einiger Zeit führt Mazedonien auch genau das durch, was man in Skandinavien fordert – Leute, die in Schweden um Asyl ansuchen wollen, werden abgehalten, weil Schweden angesichts des Zustroms überfordert ist. Mazedonien müsste das nicht tun, weil es selbst nur Ärger damit hat. Aber es tut es.
Kommunikationsroute
Es gibt mittlerweile ein tief verankertes Bewusstsein, dass es nur miteinander geht und nicht gegeneinander. Die Regierungen auf dem Kontinent sind sich entlang der Balkanroute nähergekommen. Um der Schaffung der Kommunikationsroute hat sich insbesondere Slowenien verdient gemacht.
Auch die politischen Schritte sind genau koordiniert. Bereits in Ljubljana hat man gut verstanden, dass die sogenannte Obergrenze in Wien in erster Linie ein Signal ist und kein ehernes Gesetz. Worte und Taten sind in dieser Region ja ohnehin nicht unbedingt deckungsgleich. Man versteht sich schon.
Syrien-Filter
Als Nächstes könnte ein weiterer Filter an der mazedonisch-griechischen Grenze eingeführt werden – und nur mehr Syrer durchgelassen werden. Das entspricht auch der seit Monaten in Deutschland anvisierten Kontingentlösung. Dies könnte zudem ein Signal sein – insbesondere an Nichtkriegsflüchtlinge aus Afghanistan –, sich nicht mehr auf den Weg zu machen. Viele verkaufen nämlich in der Hoffnung, in Deutschland bleiben zu können, ihre Häuser, ihre Autos und zahlen tausende Euro oder Dollar an Schlepper – eine Chance auf Asyl haben sie aber nicht, wenn sie nicht aus einem Kriegsgebiet kommen. Es ist eine Frage der Verantwortung, die tatsächlichen Möglichkeiten für solche Migranten deutlich zu kommunizieren, weil man diese Menschen sonst in den Ruin treibt.
Manche von ihnen würden vielleicht nicht mehr aufbrechen, wenn sie nicht mehr in Deutschland, sondern erstmal in Griechenland um Asyl ansuchen müssten. Gerade weil sie eigentlich wegen Deutschland kommen. Insbesondere die Südosteuropäer verstehen die Motive dieser Leute ziemlich gut. Es gibt auf dem Balkan kaum jemanden, der nicht mit dem Gedanken spielt, nach Deutschland zu gehen oder es nicht bereits versucht hat: Weil man in Deutschland so viel Geld verdient, dass man den Kühlschrank füllen kann, weil man nicht schmieren muss, um ein Haus zu bauen und keine Parteimitgliedschaft vorweisen können muss, um einen Job zu bekommen, weil nicht alles durch die Familie oder durch die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder einer Religion bestimmt ist. Weil es eben Freiheit gibt. Selbst Sebastian Kurz sagte kürzlich, er als Individuum verstehe diese Migranten und würde wahrscheinlich gleich handeln.
Zurück ins Jahr 2015
Trotzdem ist die Situation, dass die mazedonisch-griechische Grenze immer dichtergemacht wird, historisch absurd. Man kehrt damit nämlich genau zu jenem Modell zurück, das man für gescheitert erklärt hat: zur Dublinregelung – Griechenland wird wieder für die Flüchtlinge zuständig gemacht. Man darf nicht vergessen, dass wegen der Dublinregelung bis zum Sommer auch die Durchreise durch Mazedonien für die Flüchtlinge illegal war. Man will also im Frühjahr 2016 zum Frühjahr 2015 zurückkehren. Doch so einfach wird das nicht gehen. Denn es droht ein Flüchtlingsstau, der seit Wochen bereits an der mazedonischen Grenze mit der Drosselung der Durchfahrt der Flüchtlingsbusse "geübt" wird.
Athen bräuchte nun eigentlich massive Unterstützung der EU, um die Betreuung der Wartenden zu sichern. Grundsätzlich ist es egal, ob Flüchtlinge in Deutschland oder in Griechenland auf ihren Asylbescheid warten. Wichtig ist aber, dass sie menschenwürdig behandelt und gut versorgt werden, sobald sie in der EU sind. Solange Griechenland aber nicht kooperiert, ist genau dies nicht gesichert. Abgesehen davon dient das andauernde Griechenland-Bashing von Außenminister Kurz und anderen EU-Politikern sicherlich nicht dazu, dass langfristige Lösungen gefunden werden.
Ohne Griechenland gibt es die aber nicht – auch wenn zurzeit keine Einigung in Sicht ist. Auch spielt die Türkei bei Merkels Plan, die Flüchtlinge zu "behalten", nicht wirklich mit. Die Abschottung der türkisch-griechischen Grenze wäre aber ohnehin noch heikler, weil die Gefahr steigen würde, dass dann noch mehr Flüchtlinge ertrinken. (Adelheid Wölfl, 10.2.2016)