Viel Zeit zum Warten und wenig zu tun: Junger Bursch in der Bundesbetreuungseinrichtung Traiskirchen.

foto: apa/hans punz

Wien – Eine vergangene Woche präsentierte Studie zur aktuellen Lebenssituation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMFs) in Österreich brachte Bedenkliches zutage. Neben, wie berichtet, schlechter Grundausstattung – etwa dem Fehlen von Waschmaschinen in Notquartieren sowie eigener Spinde zum Aufbewahren persönlicher Dinge in den Erstaufnahmezentren – schilderten viele der befragten Kinder und Jugendlichen auch einen trostlosen Tagesablauf.

"Ich habe nichts zu tun außer frühstücken, mittagessen, abendessen. Sonst die ganze Zeit schlafen und auf einen Bescheid warten", berichtete etwa ein in der Erstaufnahme- und Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen untergebrachter Jugendlicher den Mitarbeitern des Meinungsforschungsinstituts Ifes, das die Studie im Auftrag der Bundesjugendvertretung erstellte. Eine Schule oder eine Lehre besuchte er nicht – und auch das Angebot an Freizeitangeboten bezeichnete er als karg.

Üppige Aufgabensetzung

Angesichts der üppigen Aufzählung von Aufgaben im Betreuungsvertrag der Schweizer Firma ORS, die im Wirkungsbereich des Innenministeriums seit Jahren Flüchtlinge und somit auch alleinstehende unter 18-Jährige versorgt, ist das ein erstaunlicher Mangel. Allein für die Arbeit mit männlichen UMFs definiert der Vertrag 14 Aufgaben: von der "Betreuung 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche" bis zur "Vermittlung der Werte der Aufnahmegesellschaft".

Wie ist dann zu erklären, dass etliche befragte junge in Bundesbetreuung befindliche Flüchtlinge de facto unbetreut waren? Die Ursache liege nicht in mangelndem Engagement der ORS-Mitarbeiter, sondern darin, dass es ihrer schlicht viel zu wenige gebe, viel weniger als etwa in Wiener Länderquartieren, sagt Katharina Glawischnig, UMF-Expertin bei der Asylkoordination.

Gleiche Betreuungsschlüssel

Warum ist das so? An unterschiedlichen vertraglichen Grundlagen hängt es nicht: Die Grundversorgungsvereinbarung sieht für die UMF-Bundes- und -Länderversorgung die gleichen Betreuungsschlüssel vor – so wird das vorgeschriebene Verhältnis zwischen der Anzahl der Betreuer und der Anzahl der zu Versorgenden genannt. Für UMF-Wohngruppenbetreuung ist etwa ein Betreuungsschlüssel von 1:10 festgelegt, in Traiskirchen liegt er laut Vertrag mit ORS bei 1:15.

Das Problem, so Glawischnig, liege in der unterschiedlichen Interpretation dieser Vorgaben. Konkret gelte etwa in Wiener UMF-Einrichtungen, dass bei einem 1:10-Betreuungsschlüssel "rund um die Uhr jeweils ein Betreuer für zehn UMFs anwesend sein" müsse. Während das Innenministerium meine, dass "pro zehn Jugendliche lediglich ein Betreuer anzustellen" sei.

Siwacht als Nachtdienst

Auf eine Woche umgerechnet steht somit in der vom Innenministerium organisierten Bundesbetreuung zehn Jugendlichen ein Betreuer nur 38,5 Stunden zur Verfügung. Die restlichen 129,5 Stunden sind die zehn im Grunde auf sich allein gestellt – was im Resultat auf viel weniger insgesamt zur Verfügung stehendes Personal hinausläuft. In der Traiskirchner Praxis, so Glawischnig, führe das dazu, "dass des Nachts Siwacht-Securitys im UMF-Bereich Wache schieben, weil keine ORS-Mitarbeiter anwesend sind".

Diese minimalistische Lesart der Betreuungsschlüssel wird von Peter Webinger, Leiter der Gruppe Asyl, Migration, Menschenrechte im Innenministerium, in einer dem STANDARD vorliegenden Mail an Glawischnig bestätigt: "Es ergibt sich aus der Grundversorgungsvereinbarung nicht, dass der jeweilige Betreuer eine bestimmte Dauer bis rund um die Uhr anwesend sein muss", schreibt er. "Wir gehen nicht von der 24-Stunden-Interpretation aus", bestätigte im Innenministerium ein Sprecher dem STANDARD Webingers Sicht der Dinge.

Das führt Glawischnig zu der Frage: "Wer versteht hier was falsch, der Bund oder die Länder?" Immerhin hätten die unterschiedlichen Interpretationen die Folge, "dass UMFs in Bundesbetreuung mit bis zu vier Fünfteln weniger Betreuung auskommen müssen als UMFs in den Ländern". (Irene Brickner, 11.2.2016)