Cate Blanchett als Obdachloser in einem Videostill aus Julian Rosefeldts Installation "Manifesto" im Berliner Hamburger Bahnhof. Künstlerische Manifeste werden künstlerisch verzerrt.


Foto: VG Bild-Kunst Bonn

Dada ist scheiße. Das mag manchereiner schon einmal gedacht haben, aber davor wurde es längst proklamiert. Von Dada selbst. Tristan Tzara schrieb in seinem Manifest des Monsieur Antipyrine, dass Dada, wenn es schon "merde" ist, es dann wenigstens in verschiedenen Farben sein kann. Geschissen, Pardon, wird auf den zoologischen Garten der Kunst. Starke Worte auf einem Haufen, das ist auch eine Perspektive auf die Kunstgeschichte.

Man kann aber auch produktiver mit der kraftmeiernden Textsorte der Proklamation umgehen, wie Fotograf und Filmkünstler Julian Rosefeldt in seiner Ausstellung Manifesto im Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt. Hier wird der Haufen Worte abgetragen und umverteilt. Auf 14 Bildschirme in einem dunklen Raum, die alle einen Film zeigen, und in jedem dieser Filme geht es um ein berühmtes Manifest.

Das von Tristan Tzara wird bei einer Trauerfeier vorgetragen. Ein idyllischer Friedhof, ein Leichenzug zu typischer Pompfüneberermusik, dann erklimmt eine Dame das Pult und sagt: "Dada is shit." Die noble Erscheinung wird von einer der großen Schauspielerinnen der Gegenwart gespielt: Cate Blanchett hat sich für Manifesto zur Verfügung gestellt, in einem Crossover zwischen der Welt der Kunst und der Welt des Kinos.

Kluger Erzähler

In diesem Bereich ist Julian Rosefeldt schon lange tätig, er wurde mit seinen installativen Filmarbeiten (zum Beispiel American Night, einer Beschäftigung mit dem Westerngenre) zu einem der angesehensten Künstler der jüngeren Zeit. Manifesto wird ihn in dieser Position noch bekräftigen. Das Prinzip der Arbeit ist im Grunde einfach, die Ausführung aber weist Rosefeldt als einen klugen Erzähler aus.

Er hat künstlerische Manifeste quer durch das 20. Jahrhundert gesammelt und redigiert, zum Teil auch miteinander verbunden: Der Dadaismus allein hat ja eine ganze Menge manifestativer Äußerungen (von Francis Picabia bis Richard Huelsenbeck) hervorgebracht.

Diese Texte hat er dann einer (meist) weiblichen Figur in den Mund gelegt, die immer von Cate Blanchett gespielt wird. Und zu (nahezu) jeder dieser Figuren gibt es einen Film, der in Andeutungen auch eine Erzählung erhält. So schrieb zum Beispiel Claes Oldenburg 1961 auf, für welche Formen von Kunst er ist: "Ich bin für eine Kunst, die alten Damen über die Straße hilft."

Rosefeldt macht aus dieser Litanei ein Tischgebet bei einer bürgerlich-altmodischen Familie, die Mutter führt (lang) das Wort, die Kinder und der Ehemann müssen stillsitzen, der Braten kühlt aus.

Da steckt ein Gran Ironie drin, wie auch in der Tatsache, dass die Konzeptkunst und der Minimalismus in einer Nachrichtensendung des Fernsehens zur Verlesung kommen und die Sprecherin und die Korrespondentin (in beiden Fällen wieder Blanchett) einen liturgischen Singsang anschlagen, von dem man so seine Zweifel haben kann, ob Sol LeWitt das gefallen haben würde.

Aber so ist das nun einmal mit Manifesten. Sie verselbstständigen sich. Während man so zwischen den Schirmen und Motiven herumspaziert, kommt es gelegentlich zu Momenten akustischer und sogar visueller Synchronität (da gleichen sich dann kurz die Bilder), aber das dürfte wohl eher Zufall sein.

Bild-Ton-Collage

Die Zusammenhänge, in die die Manifeste geraten, sind solche, in denen wir unsere Epoche wiedererkennen können: Eine Börsenmaklerin ist zugleich Futuristin, eine Lehrerin hält es mit Stan Brakhage und Werner Herzog (auch das Kino kennt Manifeste!), eine Choreografin setzt Fluxus, Merz und Choreografie in Szene, wobei im Text Kurt Schwitters auf Yvonne Rainer trifft.

Manifesto ist eine große Bild-Ton-Collage, die Geschichte und Geschichten atmet – vielleicht nirgends so sehr wie in der Episode mit einer Wissenschafterin. Sie geht in einschlägiger Funktionsarchitektur (die sich gern Science-Fiction-Appeal gibt) in einen systemischen Innenraum, in dem sie auf einen Verwandten des Monolithen aus 2001 – Odyssee im Weltraum trifft. Die Wissenschafterin, die an steriler Kleidung zu erkennen ist, trägt den Malstrom der Erkenntnis als Logo auf ihrem Arbeitsanzug – eine Schleife.

Elegante Geste

Die Schleife, der Loop, ist das, was die Kunst dem (erzählenden) Kino voraushat oder womit sie die Geschichten immer wieder einfängt, an die wir sonst vielleicht zu leicht glauben würden.

Julian Rosefeldt inszeniert mit Manifesto einen Rundgang durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, in dem er kleine Erzählungen mit eleganter Geste einstreut. Auf diese Weise bekommt der Wille der Kunst, die Verhältnisse zu überschreiten, hinterrücks immer wieder einen neuen "Sitz im Leben".

Man mag das realistisch nennen, aber auch einen Abgesang auf die Avantgarde. Eine schöne Leich', würde man in Österreich sagen. (Bert Rebhandl, 10.2.2016)