Strandgrundel-Männchen sind normalerweise äußerst fürsorgliche Väter – aber einige von ihnen machen sich regelmäßig über das Gelege her.

Foto: Martin Vallon

Tübingen – Viele Tierarten investieren einen beträchtlichen Teil ihrer Energie in den Nachwuchs und versuchen, ihm mit allen Mitteln das Überleben zu sichern. Umso paradoxer erscheint es, wenn manche Spezies regelmäßig einen Teil oder sogar alle ihre Nachkommen auffressen. Oft können äußere Faktoren wie plötzliche Nahrungsknappheit ausgeschlossen werden, daher stehen Forscher beim Brutkannibalismus immer noch vor einem Rätsel.

Dieses Verhalten kommt häufig bei Fischarten vor, bei denen das Männchen die Nachkommen versorgt. Auch bei der Strandgrundel (Pomatoschistus microps), einem bis zu sechs Zentimeter langen Meeresfisch, ist das so. Die Männchen wachen teilweise über mehrere ihrer Gelege von verschiedenen Weibchen, reinigen das Nest und fächeln den Eiern zur besseren Versorgung Sauerstoff zu.

Immer wieder lässt sich aber auch beobachten, dass sie die sorgfältig umhegten Eier fressen. In früheren Untersuchungen nahmen die Forscher an, dass durch den scheinbar widersinnigen Kannibalismus geschädigte Eier beseitigt werden könnten oder durch die Reduzierung des Geleges der Rest besser mit Sauerstoff versorgt wird. An Nahrungs- und Energiemangel bei den Männchen wurde ebenfalls gedacht. Eindeutige Hinweise auf den Grund gab es allerdings nicht.

Nun aber haben die Biologen Martin Vallon und Katja Heubel von der Universität Tübingen anhand der Strandgrundel entscheidende, wenn auch widersprüchliche Hinweise entdeckt: Die Forscher beobachteten, dass offenbar deutliche Wesensunterschiede eine Rolle dabei spielen, ob einzelnen Männchen zu brutkannibalistischem Verhalten neigen. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass unter gleichen Umweltbedingungen generell aktivere Individuen auch mehr Eier aus ihren Gelegen fraßen.

Überschießende Reaktion oder...

"Individuen mit einem hohen allgemeinen Aktivitätslevel betrieben auch deutlich stärker Brutkannibalismus", berichtet Heubel. Sie stellte zusammen mit ihren Kollegen die Hypothese auf, dass der Kannibalismus Teil eines generellen Verhaltensmusters der Fische ist, eine Art überschießender Reaktion, die das Männchen nicht optimal steuern kann. "Allerdings hat ein allgemein aktives Tier in anderen Situationen aber vermutlich Vorteile, sodass das Verhaltensmuster in der Evolution erhalten bleibt", erklärt Heubel.

... gesteuertes Verhalten

Dass der Brutkannibalismus bei den Strandgrundeln nicht in allen Aspekten ungesteuert abläuft, legt eine zweite Studie nahe. Die häufiger gefressenen jüngeren Eier sind gegenüber den älteren, weiter entwickelten weniger wertvoll, weil die Männchen mit ihnen noch weniger brutpflegerischen Aufwand hatten und theoretisch jeder weitere Tag Entwicklungsprobleme offenbaren könnte. Die Chancen für den Jungfisch stehen also kurz vor dem Schlupf besser. Umgekehrt sind die jüngeren Eier für das erwachsene Männchen nahrhafter. "Die Fischmännchen haben sich nicht wahllos über die Eier im Gelege hergemacht", sagt die Wissenschaftlerin. Es sieht so aus, dass hinter dem destruktiv und widersprüchlich wirkenden Brutkannibalismus ein angepasstes Verhaltensmuster stehen könnte. (red, 11.2.2016)