Cyanobakterien lassen sich auch von höheren Temperaturen nicht abschrecken. Sie sind es auch, die heißen Quellen – hier die Grand Prismatic Spring im Yellowstone National Park – ihre kräftigen Farben verleihen.

Foto: Yellowstone National Park/Jim Peaco

Simulationen mit dem mühsam ermittelten Brechungsindex zeigen, dass Cyanobakterien nach dem Prinzip von Augäpfeln funktionieren: Das Licht wird gebrochen und auf einen Punkt auf der Rückwand der Einzeller fokussiert.

Illu.: Ronald Kampmann/KIT

Karlsruhe – Cyanobakterien existieren schon seit rund 2,7 Milliarden Jahren und umfassen heute rund 2.000 Arten. Sie sind im Eis ebenso zu finden wie in Wüsten, Seen, Aquarien oder an Hauswänden – überall dort also, wo genug Licht für die Photosynthese vorhanden ist. In den Ozeanen, die etwa 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, gehören sauerstoffproduzierende Cyanobakterien zu den wichtigsten photosynthetisch aktiven Organismen. Damit bilden die nur wenige Mikrometer großen Einzeller einen Grundpfeiler der Biosphäre.

Obwohl sie nur aus einer einzigen Zelle bestehen, sind sie in der Lage, direkt und präzise auf eine Lichtquelle zuzuströmen. Wie genau diese Lichtwahrnehmung funktioniert, war seit ihrer Entdeckung ein Rätsel – für das nun ein internationales Forscherteam eine Lösung gefunden hat: Es scheint, als funktionieren Cyanobakterien in ihrer Gesamtheit als winzige Linsenaugen und können so die Lichtrichtung wahrnehmen und darauf reagieren.

Bakterieller Brechungsindex

Um dies festzustellen, mussten Wissenschafter um Jan Gerrit Korvink vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) den Brechungsindex der Bakterien ermitteln – was bei einem 3 Mikrometer kleinen Lebewesen keine leichte Aufgabe darstellt: Zunächst beschichteten die Forscher eine flache, etwa 10 Zentimeter große Scheibe aus Silizium mit einer extrem dünnen Schicht eines Photo-Polymers, das aushärtet, wenn es ultraviolettem Licht ausgesetzt wird. Dann platzierten sie einige Cyanobakterien auf dem Polymer und ließen UV-Licht auf die Platte fallen.

Überall dort, wo keine Bakterien platziert waren, wurde das Licht gebündelt. Es formte einen konzentrierten "Nanojet" aus Photonen, so dass das Polymer unterhalb der Bakterien in einem bestimmten Muster aushärtete. Anhand der Oberflächenstruktur konnten die Forscher genau nachvollziehen, wie die Bakterien das Licht gebrochen haben.

Mikrometer kleines Auge

In weiteren Untersuchungen konnte das internationale Forscherteam bestätigen, dass ein einzelnes Cyanobakterium tatsächlich auch wie ein winziger Augapfel funktioniert. Das Licht trifft auf die Oberfläche der runden Einzeller, wo es wie durch die mikroskopisch kleine Linse gebrochen wird. Dadurch entsteht ein Brennpunkt auf der gegenüberliegenden Seite der Zelle. Dies aktiviert im Bereich des Lichtpunkts winzige, fadenförmige Fortsätze außerhalb der Zelle, die das Bakterium in Lichtrichtung vorwärts treiben.

"Cyanobakterien sind die ersten bekannten Organismen, die wir aus fossilen Funden kennen", sagt Korvink. "In einer – zugegeben – sehr primitiven Form funktionieren die Bakterienzellen wie winzige Augäpfel. Möglicherweise war es also das erste Mal in der Evolutionsgeschichte, dass sich mit der Entstehung der frühen Cyanobakterien ein mit dem Linsenauge vergleichbarer Mechanismus zur Lichtwahrnehmung entwickelt hat." (red, 11.2.2016)