Kinder erkennen im Gegenüber nur ein anderes Kind. Sie reduzieren den Menschen nicht auf Hautfarbe, Herkunft oder Status.

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Esra spielt mit Martin in der Sandkiste. Beide Kinder sind ungefähr gleich alt. Die zwei Kinder haben jeweils einen Kübel und eine Schaufel, Esra hat um sich herum noch zwei Sandformen. Den Kindern macht es sichtlich Spaß, miteinander Sandkuchen zu backen. Mal nimmt Esra Martin die Schaufel aus der Hand, mal greift Martin nach einem Förmchen. Für beide Kinder ist die Welt in Ordnung. Die Mütter der beiden beobachten sie beim Spielen, reden aber nicht miteinander – sei es, weil sie einander nicht kennen oder weil es in diesem Moment einfach nichts zu reden gibt. Sie lächeln ihren Kindern zu und freuen sich daran, dass die Kleinen so friedlich miteinander auskommen.

Clemens besucht eine Schule, in der Inklusion ein gemeinsames Ziel ist. Daher ist es selbstverständlich, dass Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam lernen und den Tag verbringen. Für die Kinder ist das nach anfänglicher Scheu und Unwissenheit kein großes Problem mehr. Die Erwachsenen tun sich da manchmal schon schwerer. Carolin will zum ersten Mal ihren Freund mit nach Hause bringen. Sie hat zu Hause zwar erzählt, dass er dunkelhäutig ist und supergut Deutsch spricht. Aber seinen nicht leicht auszusprechenden Namen hat sie den besorgten Eltern lieber nicht verraten. Auch nicht, dass er hier nicht geboren ist.

Kinder sind offen

Wie lernen Kinder und Jugendliche Toleranz gegenüber anderen Menschen? Müssen Kinder Toleranz gegenüber anderen Menschen überhaupt lernen? Kleine Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie sind offen und schauen sich Neues an. Sie stellen zwar Fragen oder wundern sich, warum dieses oder jenes bei anderen Menschen anders ist. Aber Kinder sind im tiefsten Inneren ihres Wesens tolerant. Sie erkennen im Gegenüber nur ein anderes Kind. Sie reduzieren den Menschen nicht auf Hautfarbe, Herkunft oder Status. Sie sind auf sich und auch den anderen bezogen.

Wieso geht dann offensichtlich im Laufe der Zeit diese Offenheit verloren? Wie werden aus Kindern, die von klein auf mit anderen Kulturen in Berührung gekommen sind, trotzdem Jugendliche, die vor Andersartigkeit und Verschiedenheit Angst haben und glauben, sich davor schützen müssen? Wo kommt diese Angst her, wer hat sie ihnen beigebracht? Wie kommen Kinder auf die Idee, manche Menschen als gut und andere als weniger gut anzusehen? Wer schürt in der Seele von Kindern, später im Jugendlichen die Angst vor dem anderen?

Erwachsene sind Meinungsbildner

Oft lesen wir an den Hausmauern die Aufschrift "Ausländer raus". Wir lesen davon, dass Jugendliche Menschen aus anderen Kulturen angreifen und brutal zusammenschlagen. Wir sehen uns in Diskussionen mit jungen (und natürlich auch älteren) Menschen verstrickt, die uns hasserfüllte Parolen entgegenwerfen. In solchen Momenten stellt sich die Frage: Wer hat diesen Jugendlichen diesen Hass beigebracht?

Eltern und Bezugspersonen vermitteln Kindern ihre Werte und Ansichten. Sie sind den kleinen Menschen Vorbilder, eine Orientierungshilfe für ihr zukünftiges Leben. Sie sind auch Meinungsbildner und werden oftmals von den Kindern als unhinterfragte Autorität angenommen. Kinder reden das nach, was ihnen die unmittelbaren Bezugspersonen vorsagen. Sie bilden ihre Werte damit aus, dass sie so sind wie Mama und Papa, wie Oma und Opa oder wie die Lehrerin oder der Lehrer, dem sie vertrauen.

Was die coolen Typen denken

Wenn Kinder und Jugendliche nach Freunden suchen, orientieren sie sich meist an ihren Vorlieben. Musikbegeisterte werden sich andere Musikbegeisterte suchen. Jemand, der gerne Sport treibt, wird sich mit anderen sportlichen Menschen treffen. Freunde verbindet oft das gleiche Hobby, oder sie haben die gleichen Vorlieben.

Jugendliche bewegen sich auch in Peergruppen. Da ist es wichtig, was der beste Freund, die beste Freundin für eine Meinung hat, allerdings zählt auch, was die coolen Typen denken. Viele Jugendliche wollen einfach zu einer Gruppe dazugehören und übernehmen unreflektiert die Meinung der Gruppe, in der sie sich bewegen. Sie ordnen sich des Gemeinschaftsgefühls wegen unter und laufen mit.

Wie Vorurteile entstehen

Hören und sehen Kinder und Jugendliche immer wieder nur negativ gefärbte Äußerungen, Meinungen und Bilder und kommen dann mit anderen Kulturen, mit anders denkenden Menschen oder mit Menschen mit einer Beeinträchtigung zusammen, so entstehen Vorurteile. Vorurteile bewerten den anderen Menschen, oftmals ohne mit ihm zu tun gehabt zu haben. Vorurteile breiten sich in der Gruppe schnell aus und schweißen zusammen. In der Gruppe sind Menschen dann stärker und verhalten sich in einer Weise, wie sie das alleine kaum tun würden.

Toleranz in der Familie

Unter anderem beginnt Toleranz in der Familie. Toleranzfördernd ist, wenn jedes Familienmitglied in seinem Wesen so gesehen wird, wie es ist, und es Eltern und Bezugspersonen gelingt, das Kind als Person anzunehmen, unabhängig von seinen Handlungen. Das Kind soll bemerken: Ich mag dich, ich liebe dich als Menschen, aber deine Handlung war jetzt nicht okay.

Ihre Erfahrungen?

Welche Erfahrungen haben Sie mit Toleranz und Intoleranz? Wie versuchen Sie Ihren Kindern Toleranz gegenüber anderen zu vermitteln? Posten Sie Ihre Erfahrungen und Ideen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 16.2.2016)