Das europäische Finanzsystem zeigt – im achten Jahr nach der Lehman-Pleite – keine Anzeichen einer Erholung. Einerseits signalisiert die jüngste Nervosität an den Aktienmärkten, dass das Vertrauen in die Bankbilanzen weiter erodiert. Andererseits wird die Geldpolitik der Notenbanken immer expansiver, anstatt endlich vom Krisenmodus in einen Normalzustand überzugehen.

Jüngster Höhepunkt der Turbulenzen: Am Donnerstag hat die Schwedische Reichsbank den Leitzins auf minus 0,5 Prozent gesenkt. Im Unterschied zu anderen Notenbanken – etwa zur EZB – handelt es sich nicht um einen Strafzuschlag für Einlagen, die Geldinstitute bei Notenbanken deponieren (müssen): Vielmehr geht es um einen negativen Leitzinssatz, bei dem der Kreditnehmer eine Art Zuschuss von der Notenbank erhält.

Vordergründig zielen die Notenbanken mit dieser Vorgangsweise auf eine höhere Kreditvergabe und ein Anziehen der Inflation ab. Wohl noch bedeutsamer ist aber der Versuch, mit lockerem Geld die Währung zu schwächen und somit die Exporte anzukurbeln. Das Problem an der Sache: Es können nicht alle Länder gleichzeitig abwerten. Somit befinden wir uns in einem absurden Abwertungswettlauf ohne Sieger – aber mit vielen Verlierern.

Die Banken können Negativzinsen nur in Ausnahmefällen an Kunden weitergeben und müssen daher zusehends danach trachten, Sparer abzuwimmeln. Die schrumpfende Zinsmarge stellt das ohnehin dürftige Geschäftsmodell vieler Institute also immer stärker infrage. Dem Kunden ergeht es auch nicht besser. Neben der schleichenden Entwertung des Ersparten sieht er sich mit wachsenden Spesen konfrontiert, weil die Banken immer vehementer versuchen, negative Effekte im Einlagengeschäft über höhere Gebühren zu kompensieren.

Das Grundübel an der Sache: Die Notenbanken sehen sich so lange in der Pflicht zum Einschreiten, als paralysierte Regierungen die Realität verweigern. Was Europas Wirtschaft am dringendsten bräuchte, sind Investitionen, doch wer investiert schon bei den derzeitigen Rahmenbedingungen? Mäßige Konjunkturerwartungen, gewaltige Auflagen und Steuern sowie überbordende Bürokratie ersticken jegliche Aktivität im Keim. Die Notenbanken versuchen, in die Bresche zu springen. Doch dazu reichen ihre Instrumente nicht. Vielmehr verfallen die Währungshüter in einen Finanz-Hokuspokus, der den Akteuren vorgaukelt, dass mit gedrucktem Geld strukturelle Defizite auszumerzen seien – mit der unangenehmen Nebenwirkung, dass in den diversen Assetklassen ansehnliche Blasen entstanden sind.

Womit die Lose-lose-lose-Situation perfekt ist: Reformen wurden nicht angegangen, weil man sich bei Nullzinsen ja so herrlich verschulden kann, die Konjunktur darbt seit Jahren, und die aufgeheizten Märkte kommen immer stärker ins Trudeln. Interessant an der Entwicklung ist auch die Beständigkeit, mit der an der falschen Strategie festgehalten wird. Anstatt das Scheitern zu akzeptieren und eine Kehrtwende zu vollziehen, pumpen die EZB und andere Notenbanken immer mehr Geld in die Märkte. Das erinnert schon sehr an Sucht, die nur mit immer steigenden Drogendosen befriedigt werden kann.

Fast acht Jahre nach Lehman lässt sich somit recht sicher eine verlorene Dekade konstatieren. Vieles weist darauf hin, dass die Durststrecke noch länger anhalten wird. (Andreas Schnauder, 11.2.2016)