Damenskier, sagt René Schön, seien Blödsinn. Jedenfalls sähe man das bei ihm so. Natürlich wisse man auch in Vorarlberg, dass Frauen einen anderen Körperbau haben. Und dass der Schwerpunkt einer Frau beim Skifahren weiter hinten liegt. Am Papier. In der Computersimulation. Also unter idealen Bedingungen. Aber die, sagt René Schön, träfe er dort, wo er arbeite, nie an.

Für den Oberösterreicher zählt die Wirklichkeit am Berg. So wie seine Klientel sie erlebt. Im Schnee auf und abseits der Piste. Rene Schön ist Servicetechniker des Vorarlberger Skiherstellers Kästle und fast den ganzen Winter auf Achse. Er fährt von Skitest zu Skitest, von Skievent zu Skievent. Baut sein Zelt auf, räumt es mit Testskiern voll und gibt diese an interessierte Skifahrer aus. Oder an Skifahrerinnen.

Foto: Freeridecenter Stubai

Selbst wenn andere Hersteller den Damenski propagieren, meint Schön: "Kaum jemand steht so auf dem Ski, dass es in der Praxis einen Unterschied macht, ob man einen Damen- oder Herrenski fährt." Darum stelle Kästle gar keine "gegenderten" Ski her – Unterschiede gibt es weder in der Funktion noch in der Farbe. "Glaubst du etwa, dass Freeriderinnen rosa oder türkise Ski wollen? Die wollen gute, fette Powderski. Ski, die im Gelände perfekt funktionieren. Genau wie die Jungs."

Zwei Tage lang stand Schön mit 50 Paar Unisex-Skiern am Stubaier Gletscher und betreute dennoch ausschließlich Skifahrerinnen: Die Stubaier Bergbahnen, das Freeridecenter Stubai und die Skimacher hatten zu sogenannten "Ladies-only-Days" gebeten. Derartige Veranstaltungen gab es andernorts schon öfter und trotzdem war Irene Walser, die Organisatorin des Stubaier Events, vom Echo überrascht: "Wir waren damit noch nicht einmal in den Ski-Medien, schon war die Hälfte der Plätze weg." Am Schluss gab es sogar eine Warteliste.

Konkurrenz und Kompetenz

"Ja, ich hab da oben schon einmal geheult", erzählt Andrea am ersten Tag bei strahlend blauem Himmel am Gletscher. Nicht aus Angst. Nicht aus Überforderung, "Vor Wut", wie sie sagt. Ihre Freundin Alexandra kennt das: "Manchmal würde ich meinen Freund und seine Kumpel am liebsten über einen Felsen stoßen." Und das, obwohl die Begleiter der beiden 22-jährigen Tirolerinnen nicht unhöflich sind oder sich herablassend verhalten. "Es ist halt so, dass sich ein Konkurrenzdruck aufbaut. Weil ich das Gefühl vermittelt bekomme, den Burschen beweisen zu müssen, dass ich auch cool und kompetent bin. Dieses männliche 'Schau ma mal, dann wer ma schon sehn' macht mich wahnsinnig." In einer Gruppe von 25 Frauen aller Alters- und Fahrkönnen-Klassen sei das anders: "Eine Freundin war im Vorjahr beim K2-Girl-Camp. Die war total happy."

In reinen Damengruppen knietief durch den Schnee zu stapfen macht gerade engagierten Freeriderinnen immer häufiger Spaß. Wenn es allerdings um die alpine Sicherheit geht, sollten Männer wie Frauen lernen, der Gruppe auch einmal zu widersprechen.
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"Gleichwertig heißt eben nicht immer gleichartig", bestätigt Patrick Ribis. Der 35-Jährige ist gemeinsam mit Schön und zwei Bergführern einer der vier Männer bei den "Ladies Days" am Stubaier Gletscher. Ribis ist Bergführer und gründete 2010 das Freeridecenter Stubai. Er kennt die Region wie sonst kaum einer, und er weiß genau, wie er mit wem wann und wo unterwegs ist. Also so Ski fährt, dass die Kundinnen und Kunden nachher nicht nur unverletzt, sondern auch strahlend nach Hause fahren.

Frauen sind eher auf Sicherheit bedacht

Dazu braucht es mehr als Fach- und Geländekenntnis. Es geht um Einfühlungsvermögen, also das nötige Gespür. Um ein Sensorium für Unterschiede im Umgang mit unterschiedlichen Menschen. Es gäbe, sagt Ribis, gewisse wiederkehrende Muster, auch wenn diese nach Stereotypen klingen: "Männer sind oft mit einer 'Hoppla, hier komme ich'-Einstellung oder 'Was kostet die Welt'-Attitüde unterwegs. Frauen wollen dagegen wissen, worauf sie sich einlassen, wie es hinter der übernächsten Kuppe weitergeht und wie meine Exit-Strategie bei Gefahren aussieht", umreißt der Guide sein über Jahre aufgebautes Gesamtbild, das nie für alle und nie zu 100 Prozent stimme – aber eben im Großen und Ganzen.

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Mit Angst oder Übervorsicht habe das nichts zu tun. Am zweiten Tag des Freeride-Camps zeigt der Lawinenlagebericht sogar den Höchstwert an: Warnstufe Fünf. "Das sieht man auch als Bergführer selten", sagt Ribis beim Sicherheitsbriefing. "Ich weiß aber, wo und wie wir heute trotzdem Spaß im Gelände haben können." Staunen. Zweifel. Genau die Reaktion, die sich Ribis erhofft hat: "Wer bei solchen Bedingungen so eine Ansage nicht hinterfragt, sollte sein eigenes Risikoverhalten infrage stellen." Dennoch meint er: "Ja, sogar heute geht was. Nicht viel, aber auch nicht nix. Ohne einen lokalen Experten an der Hand hieße es heute für mich: Verzicht."

Sicherheit und Selbstschutz

Ribis ist auch Bergretter. Er weiß, was alpine Gefahren sind. Auf dem Berg gibt es keinen Reset-Button, keine zweite Chance nach dem ersten Fehler. Und selbst wenn es nicht immer so aussieht: Bergführer sind Sicherheitsfanatiker – oder sie leben nicht lange. Leute wie Ribis predigen schon aus Gründen des Selbstschutzes: Fahrspaß und Weißer Rausch stehen erst an dritter Stelle. Zunächst geht es um das Erkennen und Reduzieren von Gefahren. Danach darum, den Mut zu haben, auch einmal "Nein" zu sagen. Gerade dann, wenn alle ringsum "Ja, ja, ja!" schreien. Nicht blind der Gruppe beizupflichten, ist ein zentraler Punkt in der Vermittlung alpiner Kompetenzen.

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Intelligenztest bei Lawinenwarnstufe fünf: In Männergruppen dominiert oft die Angst, eine schöne Abfahrt zu verpassen, in Frauengruppen die Angst vor der Lawine, sagen Bergretter und Sicherheitsexperten aus Erfahrung.
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Während in Männergruppen jeder Angst zu haben scheint, als Erster einen Rückzieher zu machen, sei das bei Frauengruppen oft umgekehrt, weiß Irene Walser von den SAAC-Lawinensicherheits-Trainingscamps. Erziehung und Rollenbilder könne man nicht einfach wegknipsen: "Burschen muss man in der Gruppe oft bremsen. Mädels darf man ermutigen. Die trauen sich meist weniger zu, als sie tatsächlich können."

Ohne Stress und Druck

In gemischten Gruppen – und erst recht im Freundesverband ohne externe Autoritätsperson – kann es schnell zu Konflikten kommen. "Ich bin weder langsam noch feige, folge aber nicht blind einem Leithammel, der seine Alpha-Positionen nicht infrage stellen lassen will. Ich frage gerne nach – und dann heißt es, ich bin eine Zicke", umreißt Christine, eine 42-jährige Eventmanagerin aus Frankfurt, ein Standard-Setting: "Das macht Stress und Druck. Und ich muss Dinge beweisen, die ich gar nicht beweisen will."

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Neben Materialtest und alpiner Kompetenz stand bei den "Ladies Days" auch Fahrtechnik am Programm. Vermittelt von der aufs Steilhangfahren spezialisierten italienischen Profi-Freeriderin Giulia Monego. Bei Fahrerinnen dieser Liga, gibt Servicemann Schön dann zu, könnten Unterschiede in der Ski-Konstruktion tatsächlich sinnvoll sein. Nur: "Profis richten sich ihre Ausrüstung ohnehin individuell her." Monego pflichtet ihm bei und fügt an: "Ich bin eine Frau, und ich fahre Ski. Aber was, bitte, soll ich mit einem Frauenski?" (Thomas Rottenberg, 16.2.2016)