"Aufschieberitis" liegt im Trend, fast jeder kennt den Fachbegriff dafür: Prokrastination. Wikipedia sagt uns, dass es sich dabei um eine Arbeitsstörung handelt, "die durch ein nicht nötiges Vertagen des Arbeitsbeginns oder auch durch sehr häufiges Unterbrechen des Arbeitens gekennzeichnet ist, sodass ein Fertigstellen der Aufgabe gar nicht oder nur unter enormem Druck zustande kommt."
Keine Panik, sagen mittlerweile aber eine Reihe an Wissenschaftern und Experten. Sie plädieren dafür Prokrastination nicht als Störung, sondern als Gewinn zu sehen. "Es muss nicht heißen, dass man nie etwas auf die Reihe kriegt", sagt etwa Adam Grant, Autor des Buches "Originals", das in den USA aktuell gefeiert wird. Der Schreibprozess habe ihm gezeigt, wie man gleichzeitig prokrastinieren kann, aber auch produktiv ist. Unlängst beschäftigte er sich auch in den New York Times damit, warum Prokrastination eher Segen als Fluch sei.
1. Man kann mehr erledigen..
... nur eben andere Dinge. Aber wenn man den Uni-Essay wieder einen Tag verschiebt und dafür den längst überfälligen Steuerausgleich macht, ist das auch nicht schlecht. Denn am Ende bekommt man ja auch den Essay fertig. Die Frage ist nur, wann. John Perry, Professor für Philosophie in Stanford, schreib in seinem Buch "The Art of Procrastination": Während man Arbeitsaufträge aufschiebe und lieber noch nicht mit Lernen beginne, tue man ja andere Dinge. Er nennt das "strukturierte Prokrastination".
2. Man trifft bessere Entscheidungen
Den Grund dafür sehen die drei Herren in der zusätzlichen Zeit, die man sich mit dem Aufschieben gibt. Adam Grant sagt etwa, er ist eigentlich das Gegenteil von einem Prokrastinierer. "Wenn ich weiß, das muss ich in vier Monaten erledigt haben, dann will ich es sofort angehen. Mir ist aber aufgefallen, dass ich die zusätzliche Zeit brauche, um bessere Ideen zu entwickeln. Ich habe gelernt zu Prokrastinieren", sagt er im Interview mit Inc.com.
3. Man ist kreativer
Auch dieser Punkt hat mit der zusätzlichen Zeit zu tun. Grant nennt hier ein anderes Beispiel: "Wenn ich eine Geschäftsidee habe und den Markteintritt plane, ist es nicht immer das beste, der erste zu sein." Bestehe für ein Produkt oder eine Dienstleistung schon ein Markt, könne man die bestehenden Ideen verbessern. "Wenn man originell sein will, heißt das nicht, dass man der oder die Schnellste sein muss."
Dass Prokrastination die Kreativität erhöht sagt auch Frank Partnoy, Autor des Buches "Wait". Statt Panik vor dem Aufschieben zu haben, sollte man das Aufschieben nutzen.
4. Unwichtiges verschwindet
Ebenfalls logisch: Je weniger Zeit, desto effizienter muss gearbeitet werden. Unnötige Arbeitsschritte werden übersprungen. Viele große Unternehmen würden den Angestellten Aufgaben erteilen, deren Erfüllung den Erfolg der Firma nicht beeinflusse, sagt Perry.
5. Bessere Entschuldigungen
Auch bei Entschuldigungen lohne es sich auch, statt einem schnellen "Sorry" zu warten. Die besten Entschuldigungen würden sechs Stunden nach dem Vorfall kommen, sagt Partnoy. Die Emotionen hätten dann schon abgenommen und man hat zusätzliche Zeit, "um mehr Informationen zu sammeln."
6. Prioritäten werden deutlich
Oft wolle das Unterbewusstsein etwas mitteilen, wenn man eine Aufgabe aufschiebt, sagt Perry. Wenn man als generell produktive Person etwas aufschieben möchte, sollte man sich über die Aufgabe Gedanken machen und darüber, ob man sie überhaupt erledigen will.
Kritik von Psychologen
Während die Ansichten von Grant und Co. wahrscheinlich Musik in den Ohren von vielen chronischen Aufschiebern ist, meldeten sich Psychologinnen und Psychologen wiederum mit Kritik. Während Prokrastination immer Verspätung bedeute, sei nicht jede Verspätung Prokrastination, merkt etwa Timothy A. Pychyl in Psychology Today an. Was Grant meine, sei sich Zeit zu nehmen. Daran gäbe es nichts negatives. Prokrastination sei aber wenn jemand nicht so handeln kann wie gewollt, obwohl er oder sie wisse, dass das jetzt sein muss. (lhag, 16.2.2016)