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Die christlich-soziale Werthaltung kennt offensichtlich in Oberösterreich trotz ÖVP-Dominanz klare Grenzen.

Foto: Reuters / Michael Dalder

Linz – Schon beim Titel "Kahlschlag bei der Mindestsicherung" war klar, dass die Einladung zu einer Expertenanhörung im Linzer Landhaus aus dem Oppositionseck kommt. SPÖ und Grüne luden am Freitag Vertreter der NGOs und der Sozialinstitutionen zu einem Fachgespräch anlässlich der geplanten Kürzung der Mindestsicherung ein.

ÖVP und FPÖ planen ja, dass befristet Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte künftig nur mehr so viel wie Asylwerber in der Grundversorgung bekommen: also 320 statt 914 Euro für Einzelpersonen. Ein entsprechender Antrag passierte Ende Jänner den oberösterreichischen Landtag und soll im Frühjahr im Sozialausschuss weiter behandelt werden – der STANDARD berichtete.

Bei dem Expertentreffen wurde rasch einmal mehr klar, dass die schwarz-blauen Sozialkürzungspläne aus rechtlicher Sicht wohl kaum umsetzbar sein werden.

Heikle Deckelung

Der Verfassungsjurist Theo Öhlinger etwa sieht in der Sache aus rechtlicher Sicht kaum Diskussionsspielraum: "Es gibt hier sehr deutliche Grenzen. Die Mindestsicherung zu kürzen ist klar verfassungs- und unionsrechtswidrig."

Und auch bei einem zweiten schwarz-blauen Initiativantrag, eine Deckelung der Leistungen in der Höhe von 1500 Euro einzuführen, wird es für den Verfassungsrechtler heikel: "Eine Deckelung wird beim Gleichheitsgrundsatz die Grenze haben. Es kann Abstufungen bei den Leistungen geben, eine Grenze ist rechtlich sicher unzulässig."

Eine Kürzung von Sozialleistungen sei zwar prinzipiell möglich, es müsse aber, laut Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gelten. Öhlinger: "Und bei der Mindestsicherung geht es immerhin um die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens." Womit auch klar sei, dass eine Kürzung der Mindestsicherung auch "an die Grenzen der Menschenwürde stößt".

Menschenwürde in der Landesverfassung

Ein weiteres Hindernis liegt für ÖVP und FPÖ aber quasi vor der eigenen Haustüre. Öhlinger: "Die Menschenwürde ist explizit in der oberösterreichischen Landesverfassung verankert. Und dieses Landesverfassungsrecht ist für landesrechtliche Regelungen eine bindende Grundlage."

Tatsächlich findet sich im Artikel 9 der Landesverfassung folgender Passus: "Jedes staatliche Handeln des Landes hat auf der Grundlage der Grundrechte die Würde des Menschen, die Selbstgestaltung seines Lebens und die Verhältnismäßigkeit der angewandten Mittel sowie den Grundsatz von Treu und Glauben zu achten." Für Öhlinger eine "justiziable und beim Verfassungsgerichtshof einklagbare Grundlage".

Hinzu komme dann noch die völker- und europarechtliche Seite. Öhlinger: "Beide Rechtsordnungen gehen grundsätzlich von einer Gleichstellung jedenfalls von anerkannten Flüchtlingen aus. Die Genfer Flüchtlingskonvention sagt ausdrücklich, dass die vertragsschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich erlaubterweise auf ihrem Gebiet aufhalten, die gleiche Behandlung in der öffentlichen Unterstützung und Hilfeleistung gewähren sollen, wie sie ihren eigenen Staatsbürgern zuteilwird."

Erinnerungslücken

Christoph Pinter, Leiter des UNHCR-Büros in Wien, sieht in Österreich derzeit überhaupt eher ein Solidaritätsproblem als ein Flüchtlingsproblem: "Die Kürzung der Mindestsicherung auf das Niveau der Grundversorgung wird für Betroffene massive Folgen haben. Man drängt Flüchtlinge an den Rand der Gesellschaft."

Der Migrationsexperte August Gächter erinnerte daran, dass wir derzeit in Österreich nicht die erste Flüchtlingswelle erleben: "Es ist seit 1945 die siebente Flüchtlingswelle. Von diesen sieben hatten fünf ungefähr die gleiche Größenordnung – immer so rund 200.000 Personen." Es sei daher "überraschend", wenn jetzt das Aufsehen groß ist. Gächter: "Man sollte glauben, dass wir in den letzten 70 Jahren genug dazugelernt haben, dass wir in dem Moment, wo Flüchtlinge kommen, genau wissen, was zu tun ist. Komischerweise war das nicht der Fall. Gut, ich begegne auch immer wieder Leuten, die sich nicht einmal an die sechste Flüchtlingswelle von 1998 bis 2005 erinnern können." (Markus Rohrhofer, 13.2.2016)