Adam Krzeminski.

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500 Menschen wohnten der Diskussion im Wiener Burgtheater bei.

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Giorgos Chondros.

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Peter Keller.

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Rebecca Harms.

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Kinga Göncz.

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Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid.

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Wien – Keine fünf Minuten sanften Schlenderns bedarf es, um vom Parlament, wo die steinerne Pallas Athene an die zeitlose Gültigkeit der Demokratie gemahnt, zum Burgtheater zu gelangen. Und während auf der gegenüberliegenden Seite Jung und Alt mehr oder minder filigrane Runden über das Eis des Wiener Ratshausplatzes zogen, kreisen die Gedanken der rund 500 Besucher im Inneren des Theaters um die großen Fragen, die Europa dieser Tage bewegen. Ist Demokratie tatsächlich so zeitlos, wie es die Statue insinuiert – oder befinden wir uns schon im Zeitalter der Postdemokratie, wie Politologen wie Colin Crouch gerne postulieren? Deuten stetig sinkende Wahlbeteiligungen und der Aufstieg populistischer Kräfte da und dort auf Demokratieüberdruss hin? Oder stehen neue, von den sozialen Medien flankierte Protestkulturen wie Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien oder die rechte Pegida in Deutschland vielmehr für den Willen der Europäer nach Partizipation und Veränderung?

Keine einfachen Fragen, zu deren Diskussion das Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), die Erste-Stiftung und das Burgtheater in Kooperation mit dem STANDARD am Sonntagvormittag ins Haus an der Wiener Ringstraße geladen hatten. Natürlich vermochte das Thema Flüchtlinge auch dieser Debatte, die von STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid moderiert wurde, seinen Stempel aufzudrücken. Für Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, belegt nämlich gerade die gegenwärtige Fluchtbewegung in die EU die Attraktivität der Demokratie europäischen Zuschnitts. Gerade in der Flüchtlingskrise seien die demokratischen Prozesse extrem gefordert. Sowohl in Deutschland, dessen Kanzlerin Angela Merkel sich dem Votum der Bevölkerung stellen wird, als auch in Europa. "Wir haben heute in Deutschland eine Situation, in der sehr viel mehr darüber diskutiert wird, was die Regierung macht, als noch vor einigen Jahren."

Schweizer Modell

In der Schweiz, deren Modell der direkten Demokratie in ganz Europa immer wieder lautstarke Unterstützer findet, sei man demokratiepolitisch "ziemlich munter unterwegs", sagt Peter Keller, Abgeordneter der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die am 28. Februar per Volksinitiative über strengere Abschiebungsregeln für straffällig gewordene Ausländer abstimmen lässt. Auch wenn die direkte Demokratie bei weitem kein Allheilmittel sei, stehe es um die Volkssouveränität in Österreichs westlichem Nachbarland doch vergleichsweise gut.

Gerade das Instrument der Volksinitiative zeige, dass die Bürger den Politikern oft weit voraus sind, glaubt Keller. Schließlich seien es anfangs vor allem ökologische Themen und Fragen der Verteilungsgerechtigkeit gewesen, die beim Wahlvolk Anklang gefunden hätten: "In der schweizerischen Demokratie ist alles möglich, das Volk hat schon höheren Steuern zugestimmt und gegen längere Ferien votiert."

Dass es um die Demokratie im Kontext der EU und ihrer Institutionen hingegen nicht weit her sei, beklagt Giorgos Chondros, Mitglied des Zentralkomitees der linken Regierungspartei Syriza aus Griechenland. Europäische Institutionen, die nicht demokratisch legitimiert sind, hätten seinem Land die Souveränität genommen, sagt er. So habe man bei dem von der Regierung initiierten Referendum gegen den Sparkurs im vergangenen Sommer die höchste Wahlbeteiligung aller Zeiten registriert, nur um bei den Wahlen einige Monate später auf einen historischen Tiefststand zurückzufallen. "Das größte Opfer der Austeritätspolitik ist die Demokratie."

Sorge um Ungarn

Anhand des Beispiels Ungarn ließe sich der Rückbau der Demokratie in einem EU-Mitgliedsstaat nachzeichnen, erklärte die Sozialdemokratin und ehemalige ungarische Außenministerin Kinga Göncz. Ihr Land beschreibt sie als "eine Art Wahlautokratie". Zwar seien die demokratischen Institutionen noch vorhanden, doch würden sie von einem kleinen Kreis an Personen rund um Premier Viktor Orbán geleitet. Der politischen Elite gehe es vor allem um persönlichen Wohlstand, sagt Göncz. "Die Frage ist, ob es Orbán gelingt, seinen Regierungsstil auch anderen EU-Politikern schmackhaft zu machen."

Dass sich Polen aufgrund des jüngsten Wahlsiegs der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in dieselbe Richtung wie Ungarn bewegt, glaubt der Warschauer Publizist Adam Krzeminski nicht. Zwar sei die von Parteichef und "Godfather" Jaroslaw Kaczynski hinter den Kulissen betriebene Aushebelung der Gewaltentrennung "das größte Problem", doch mache die PiS derzeit eine Phase der Häutung durch, aus der jüngere, europaerfahrenere Politiker hervorgehen könnten. "Auch die Nationalkonservativen halten die EU für wichtig. Aber nur, solange sie sich nicht in die Innenpolitik einmischt."

Wie es um die Demokratie im Jahr 2020 bestellt sein dürfte, darüber herrschte in der Runde erwartungsgemäß Dissens. Syriza-Politiker Chondros: "Bevor wir uns nicht über Krieg, Armut und Klimawandel einig sind, werden wir die Demokratie nicht ausbauen können." Aus Schweizer Sicht hofft SVP-Nationalrat Keller auf ein Umdenken in der EU – die Menschen fühlten sich dort nicht mehr zu Hause. Für Grünenpolitikerin Harms, selbst an der innerdeutschen Grenze aufgewachsen, ist die EU allen Schwächen zum Trotz auch in Zukunft die Antwort auf die Verwüstungen Europas im 20. Jahrhundert. Und während in Ungarn nach den Worten von Ex-Außenministerin Göncz die Zivilgesellschaft erst langsam erwacht, dient die EU den Polen, geht es nach Publizist Krzeminski, als "pädagogische Anstalt". Denn Demokratisierung bedeute dort bis heute vor allem Europäisierung. (Florian Niederndorfer, 14.2.2016)