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Vielerorts wird jährlich das "Ramayana" aufgeführt, ein Stück über das angezeigte "Verbrechen" der Hindu-Gottheit Rama.

Foto: REUTERS/Ajay Verma

Neu-Delhi/Dubai – Manche halten ihn schlicht für einen Spinner. Aber das weist Thakur Chandan Kumar Singh von sich. Natürlich wisse er, dass man einen Gott nicht bestrafen könne, sagt er. "Aber es sollte eine nationale Debatte über sein grausames Verhalten geben." Der 31-jährige Anwalt aus Bihar verblüffte Indien, als er versuchte, den populären Hindu-Gott Rama wegen häuslicher Gewalt vor Gericht zu bringen. Denn der hat der Überlieferung nach seine Frau Sita in die Wildnis verbannt, und das, obwohl sie schwanger war.

Die Geschichte von Sita und Rama ist in Indien so bekannt wie die von Adam und Eva im Westen. Entsprechend groß war der Aufregung. Rechte Hindus sind empört. Sie werfen Singh vor, ihren verehrten Gott in den Schmutz zu ziehen. Drei Anzeigen wegen Beleidigung wurden gegen Singh erstattet. Kollegen fordern, ihm die Lizenz zu entziehen. Er bekommt Hassmails und Drohanrufe.

Vormachtstellung des Mannes

Doch der 31-Jährige legt den Finger auf eine wunde Stelle. Praktisch alle großen Religionen sind Männerreligionen. Anders als Christentum, Islam und Judentum kennt der Hinduismus zwar immerhin auch Göttinnen, doch propagiert und zementiert auch er in vielen seiner Schriften die Vormachtstellung des Mannes.

Das gilt auch für das Ramayana, jenes monumentale Sanskrit-Epos, das vielerorts jährlich aufgeführt wird – und bis heute das Frauen- und Männerbild ganzer Generationen prägt. Die Hauptrollen spielen Rama, der als siebente Inkarnation des Gottes Vishnu gilt, und seine Frau Sita, die von dem Dämonenkönig Ravana entführt wird. Mithilfe des Affengottes Hanuman gelingt es Rama, Sita zu befreien.

Anschließend besteigt sie an der Seite ihres Mannes den Thron von Ayodhya. Doch die Untertanen zerreißen sich das Maul. Sita sei eine Schlampe, weil sie "im Haus eines anderen Mannes" lebte, lästert ein Wäscher. Der böse Klatsch kommt Rama zu Ohren. Statt zu seiner Frau zu stehen, verbannt er die Schwangere in die Wildnis, wo sie die Söhne Lava und Kusha zur Welt bringt. Während die Zwillingsbrüder als Erwachsene zu ihrem Vater Rama gehen, verlässt Sita die grausame Welt und kehrt in den Schoß von Mutter Erde zurück.

So oder ähnlich wird die Geschichte erzählt. Nun will Singh für späte Gerechtigkeit kämpfen. Der Anwalt sieht es als seine Pflicht an, weil er aus der Stadt Sitamarhi in Mithila stammt, die als Sitas Geburtsstätte gilt. Seine Frau, seine Mutter und seine beiden Schwestern stünden hinter ihm, sagt der Anwalt Er wolle keine religiösen Gefühle verletzen, betont Singh, sondern eine nationale Debatte anstoßen.

Religiöse Konflikte

Sita sei immer eine gute Frau gewesen. "Wie konnte Rama ein solches Verbrechen begehen?" Singh glaubt, wenn Rama verurteilt wird, würde dies ein Exempel statuieren und das Denken ändern. "Gerechtigkeit für Sita bedeutet Gerechtigkeit für alle Frauen."

Dennoch scheint fraglich, ob die Klage der Sache der Frauen dient. Damit droht das drängende Problem in den Strudel religiöser Konflikte zu geraten. Frauenrechtlerinnen schwiegen, zumal sich Frauenfeindlichkeit nicht nur unter Hindus findet. Auch das Gericht mochte seinen Argumenten nicht folgen. Es wies die Klage als "nicht praktikabel" ab. Der Fall sei jenseits von "Logik und Fakten". "Wen sollen wir denn bestrafen?", fragte der Richter irritiert. (Christine Möllhoff, 16.2.2016)