Nichts. Dort, wo normalerweise in den Schnee gerammte schwarze Stecken mit roten Fahnen die Landezone des Helikopters auf dem kleinen Gipfelplateau markieren sollten – ist nichts außer schneeweißes Weiß. Pilot Dave hat damit kein Problem. Sicher und routiniert landet er die Bell 407 genannte Kiste, die bis zur Höhe der Schnauze im Tiefschnee versinkt.

Die fünf Wintersportler, die schon jetzt ihren Puls im Kopf pochen hören, springen hinaus und kauern sich hin, während Bergführer Gery Unterasinger die Skier und Snowboards von der Außenbox des Helis entlädt. Dann werden die Rotorblätter schneller, das Wummern wird lauter. Ein kräftiger Windstoß wirbelt noch mehr Schnee auf, ehe der Heli abhebt, nach links abdreht und verschwindet.

Start – Flug – Landung: Das Abenteuer beginnt.
derstandard.at/von usslar

Bis über die Hüfte steckt die kleine Gruppe im Tiefschnee. Schon das Anschnallen der Sportgeräte auf dem schmalen Grat ist eine Herausforderung. Nur zögerlich freunden sich die Blicke mit den atemberaubenden Gletschern ringsherum und der Steilheit des Geländes an. "Ihr könnt euch später bedanken", sagt Guide Gery auf einem namenlosen Gipfel in der Nähe des Adamant Mountain in breitem Osttiroler Dialekt. Dann fährt er in die rund 45 Grad steile Flanke ein.

Karte: Der Standard

Mehr als 50-mal davor hat die kleine Heliski-Gruppe in dieser Skiwoche schon unberührte Tiefschneehänge in den Columbia Mountains im Westen Kanadas vor sich gehabt. Fast 50-mal haben sich nach den Abfahrten Diskussionen ergeben.

Denn am Abend beim Bier in der Adamants genannten Luxus-Lodge von Canadian Mountain Holidays (CMH) wurde darüber debattiert, ob die Wild Turkey genannte Strecke die spektakulärste war, weil man den von den eigenen Schwüngen aufgewirbelten Schnee eingeatmet hat. Oder ob doch Heaven's Door, Sick Bird oder andere Runs besser waren. Weil man so schön durch den Baumbestand kurven und über zugeschneite Baumstümpfe und Felsen springen konnte.

Die Einfahrt in die rund 45 Grad steile Flanke von "Captain Nemo".
Foto: Gery Unterasinger

Diesmal aber ist alles anders. Die Abfahrt in der so steilen Flanke raubt den Atem, doch das Adrenalin sorgt dafür, dass der Körper gehorcht. Tief pflügt das Snowboard, pflügen die Skier durch den Schnee, Fontänen an frischem Pulverschnee werden aufgewirbelt.

Unten angekommen kann die Hobbytruppe ihr Glück kaum fassen. "Gratuliere", sagt Gery. "Das war eine Erstbefahrung." Im Logbuch von Gery wird "Captain Nemo" vermerkt, so wird der Run künftig heißen.

Zurück in der Lodge, gibt es am Feuer keine Debatte über die beste Abfahrt aller bisherigen Zeiten mehr – zumindest an diesem Abend.

Aufregendstes Abenteuer

Heli-Skifahren. Das ist exklusiv und nicht nur bei CMH mit rund 8.000 Euro für einen Sieben-Tages-Trip (inklusive Kost und Logis, Ausrüstung und Guides, aber exklusive Flug nach Kanada) richtig teuer. Dem Sport braucht man in puncto Umweltschädlichkeit mit keinen Relativierungsversuchen zu kontern. Und dennoch ist es mit das aufregendste Abenteuer, das ein Wintersport-Aficionado erleben darf.

Wohlgemerkt: Hier sind fortgeschrittene Hobby-Wintersportler am Werk.
Foto: Gery Unterasinger

CMH ist Weltmarktführer in diesem Segment und bietet in British Columbia in elf Lodges in den Bergketten Monashees, Selkirks, Purcells und Cariboos Pulverschnee-Abfahrten an. Geworben wird mit dem vorangestellten Wort "unberührt", weil zum einen in diesen Bergketten auf 1.800 Meter Seehöhe im Jahr rund 15 Meter Schnee fällt – und Skispuren also bei gutem Saisonverlauf keine lange Existenz vergönnt ist. Zum anderen ist das "Skigebiet", das CMH gepachtet hat, größer als ein Drittel der Schweiz. Von der abgelegenen Lodge Adamants 550 Kilometer nordwestlich von Calgary etwa werden 332 Runs angeflogen. Ohne Heli haben Normalbürger, die keine mehrtägigen Tourenski-Expeditionen auf sich nehmen können, jedenfalls keine Chance, überhaupt zur Lodge zu gelangen.

Heliskiing mit österreichischen Wurzeln

Begründet wurde das Unternehmen vor 51 Jahren – und das Heliskifahren als Big Business an sich – vom österreichischen Bergfex Hans Gmoser. Der 2006 verstorbene Auswanderer, der mit Landsmann Leo Grillmair einst das Bergwesen im Staat mit dem Ahornblatt in der Flagge geformt hat, gilt in Kanadas Skiwelt als Koryphäe. Ein weiterer österreichischer Bergführer, Mike Wiegele, trennte sich in den 1970ern von Gmoser und gilt mit seinem Heliskiing-Programm als zweitgrößter Operator. Heute gibt es alleine in Kanada etwa 20 Anbieter, die mit dem charakteristisch fluffigen, weil bei kalten Bedingungen so trockenen "Champagne-Powder" werben.

Ein Teilnehmer hat ein spektakuläres Video seiner Abfahrt gedreht.
novajl

Dieser lässt die Wintersportler mit ihren breiten Latten auf vergletschertem Terrain in rund 3.000 Meter Seehöhe wie in tiefer gelegenen Waldabfahrten regelrecht dahinsurfen. Während jüngere Freerider nach den vorausfahrenden Guides eher aggressivere Linien wählen, zaubern wintersporterfahrene Ältere lieber synchrone Spuren in den Tiefschnee. Unter den rund 30 Gästen in der Adamants-Lodge befinden sich diesmal studierende Kinder wohlhabender Eltern aus den USA genauso wie ein 21-jähriger Schweizer, der den Trip bei einem Freeride-Foto-Contest gewonnen hat, oder sein 36-jähriger Landsmann, der jahrelang auf diesen Trip gespart hat. Die ältesten Heliskier in dieser Woche kratzen hingegen am Siebziger – und erzählen den Jungspunden am gemeinsamen Essenstisch Bergabenteuer aus früheren Zeiten, die sich gewaschen haben.

Abfahrten im hüfthohen Pulverschnee sind in den westkanadischen Columbia Mountains keine Seltenheit. Selbst die Erstbefahrung von Hängen ist teilweise noch möglich.
Foto: Gery Unterasinger

Millionäre und Barkeeper

Dort sitzen übrigens neben Millionären auch die Guides, Piloten und alle Servicekräfte im Haus. Die Saisonjobs hinter der Bar, als Tellerwäscher oder Skiwaxler sind insofern gefragt, als hier die teuren Helikopter immer mit voller Auslastung fliegen. Heißt im Klartext: Wenn den zahlenden Heliskiern die Puste ausgeht und sie zu Mittag zurück in die Hütte wollen, springen die Hackler ein. Bei Schönwetter gehen sich am Tag bis zu 15 Flüge und mehr als 10.000 Höhenmeter Tiefschnee-Abfahrten aus. "Schlapp machen ist keine Schande", sagt Barkeeperin Anna aus Australien, während sie mit einem fetten Grinser im Gesicht in ihre Snowboard-Boots schlüpft und zum Helikopter rennt.

Seine Linie durch einen tiefverschneiten kanadischen Wald zu finden ist ebenso spektakulär, wie über einen flachen Gletscher zu schwingen.
Foto: Gery Unterasinger

"40 bis 45 Prozent der Gäste kommen aus Europa", erzählt Guide Gery Unterasinger. "40 Prozent sind Amerikaner, der Rest kommt zumeist aus Australien, Japan, China oder Russland." Der Lienzer Bergführer arbeitet seit 21 Jahren für CMH und hat als Guide vorneweg bereits Millionen an Höhenmetern im Pulverschnee geschafft. "Das Hauptmotto ist Sicherheit", sagt er. Ohne bereitgestelltes Equipment wie Lawinenverschütteten-Suchgerät, Schaufel, Sonde sowie ein Funkgerät werden die Gäste gar nicht erst nicht mitgenommen.

Jeden Tag frühmorgens entscheiden die Führer auf Basis der Lawinenlageberichte über die Sicherheit der Runs. Ein Veto reicht – und die Abfahrt scheidet aus. Die Eröffnung neuer Strecken für Gäste erfolgt nur bei idealen äußeren Bedingungen und nach ausführlichen Sicherheitschecks. Vor Lawinenabgängen gefeit ist man auch bei CMH trotz jahrelanger Routine und hunderttausender erfolgreicher Abfahrten nicht: Beim bisher letzten Unglück im März 2014 starb der bekannte deutsche Brauerei-Unternehmer Jannik Inselkammer. Das Wissen um die unvorhersehbaren Kräfte der Natur sowie das Vermeiden von unnötigem Risiko werden den Gästen deshalb nähergebracht.

Inmitten der Selkirk Mountains.
Foto: Krutzler

Um den Fahrspaß vom Tiefschnee-Anfänger bis zum ambitionierten Freerider zu optimieren, werden die Heliskier von den Guides in dementsprechende Gruppen eingeteilt. Die Vorauswahl erfolgt für hiesige Tiefschnee-Freaks schon in Österreich: CMH-Booker Cri Maierhofer, einst Snowboard-Profi im Boardercross, kennt die Schwierigkeitsgrade der Terrains, die von den elf Hütten angeflogen werden, ganz genau.

Jene Interessierte, die besonders mit dem ökologischen Fußabdruck von Heliskiing oder mit dem hohen Preis hadern, können vielleicht mit dem ebenfalls angebotenen helikopterunterstützten Skitourengehen eine Kompromisslösung finden. Die Schönheit dieser Bergwelt Kanadas bleibt so oder so im Gedächtnis hängen – selbst wenn man sie nur einmal im Leben zu Gesicht bekommen wird. (David Krutzler, Rondo, 19.2.2016)

Weiterlesen

Gudauri: Zum Heliskiing nach Georgien