Kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo auf der Welt eine Modeschau stattfindet. Hier die Cruise-Show von Dior an der Côte d'Azur.

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Er will Frauen- und Männermode in einer Show zeigen: Christopher Bailey von Burberry.

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Seine jüngste Modeschau auf der New Yorker Fashion Week hat er gestrichen: Tom Ford.

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Es war im Jahr 1998, als ein einzelner Designer den gesamten Modekalender durcheinanderbrachte. Helmut Lang war sein Name, und er galt schon damals als genau so genial wie eigenwillig. Kurz zuvor war der österreichische Designer von Paris nach New York übersiedelt, wo die neuesten Kollektionen traditionell nach jenen von Mailand und Paris präsentiert wurden. In einer Nacht-und- Nebel-Aktion verlegte Lang seine Modeschau sechs Wochen nach vorn – und gab damit den Takt der Saison vor.

Im darauffolgenden Jahr wurde der gesamte Modeschauenreigen neu geordnet: New York zeigt seit damals vor London, Mailand und Paris. Eine Revolution im überschaubaren Wasserglas der Mode, doch gemessen an dem, womit Christopher Bailey jüngst an die Öffentlichkeit ging, nicht mehr als eine brancheninterne Verschiebung.

Der CEO und Chefdesigner von Burberry kündigte an, die neue Mode nicht mehr Monate vor jenem Zeitpunkt zu zeigen, an dem sie in die Geschäfte kommt, sondern dann, wenn es sie auch zu kaufen gibt. Sprich die Herbstkollektion zeitgleich mit dem Verkaufsstart im September und die Frühjahrskollektion irgendwann zu Anfang des Jahres. Macht das Modell Schule, würde das das Modesystem, wie es seit der Einführung des Prêt-à-porter durch Pierre Bergé (Yves Saint Laurent) vor fünfzig Jahren funktioniert, komplett verändern: Aus Modeschauen würden Publikumsevents.

Nicht Einkäufer und Journalisten wären die Adressaten, sondern jene, für die die Mode gedacht ist: die Endkunden. Sie sollen in Zukunft Mode frisch vom Laufsteg weg (im Internet) bestellen können. Oder gleich nach der Show im Geschäft vorbeischauen und das Kleid, das Cara Delevingne auf dem Laufsteg getragen hat, erstehen können. "Derzeit ist es so, dass wir unendlich viel Energie in eine Modeschau investieren", erklärte Bailey: "und sechs Monate später, wenn die Mode in die Geschäfte kommt, muss uns das noch einmal gelingen."

An Mode sattsehen

Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Kunden an der Kollektion aber womöglich längst sattgesehen. Im Internet haben sie deren Präsentation via Livestream verfolgt, auf Instagram oder Snapshot haben sie ihre Details bewundert und in den immer früher erscheinenden Modemagazinen haben sie sie an verschiedenen Models gesehen. Und erst dann – Monate später – gibt es die Möglichkeit, die Kollektion zu kaufen.

Das hat in der Vergangenheit zu viel Kopfzerbrechen geführt. "Wir haben es mit einem Modekalender und -system zu tun, die aus einem anderen Jahrhundert stammen", erklärte Tom Ford kurz nach der Ankündigung Baileys – aus einem Jahrhundert, in dem es noch kein Internet gab.

Seine für Mitte Februar auf der New Yorker Fashion Week geplante Modeschau sagte der amerikanische Modemacher ab. Und kündigte stattdessen eine Show im September an – zum Verkaufsauftakt. Genau so wie Bailey wird auch Ford nicht mehr Frauen- und Männermode getrennt zeigen, sondern gemeinsam. Das ist die zweite große Neuerung, die in der allgemeinen Aufregung über den Vorstoß Burberrys und Fords beinahe unterging. "Wenn ich eine Kollektion entwerfe, dann habe ich eine bestimmte Idee im Kopf – unabhängig davon, ob es sich um eine Frauen- oder Männerkollektion handelt", sagt Bailey.

Schon länger zeigen Modehäuser wie Prada oder eben Burberry während der Männermodeschauen auch Frauenmode – und umgekehrt. Das hat bereits in den vergangenen Jahren immer wieder für Verstimmung gesorgt und war ein weiteres Zeichen dafür, dass eine gesamte Maschinerie aus dem Ruder gelaufen ist.

"Das System Mode funktioniert nicht mehr", konstatierte denn vor kurzem die einflussreiche Plattform "Business of Fashion". Immer neue Modewochen schossen in den vergangenen Jahren wie Schwammerln aus dem Boden. Sowohl in London als auch in New York gibt es mittlerweile Männermodetage. Zudem begannen große Modehäuser außerhalb des Kalenders riesige Events zur Präsentation ihrer Cruise-Kollektionen zu veranstalten. Da den Überblick zu behalten, ist selbst für Brancheninsider schwierig – die meisten Endkunden haben sowieso schon lange kapituliert.

Dem Überangebot an Modeschauen entspricht ein Überangebot an Mode, was wiederum dazu führt, dass viele Kollektionen nur mehr wenige Wochen in den Geschäften liegen, bis sie in den Abverkauf wandern.

Designer kommen und gehen

Das System ist überhitzt, lautet der Befund. Für Marken wird es immer schwieriger, ins Bewusstsein der Kunden vorzudringen, und die Anforderungen an die Modemacher, ständig neue Produkte zu kreieren, werden immer größer.

Die vielen Designerabgänge und Designerrochaden der vergangenen Wochen und Monate (Raf Simons verließ Dior, Alber Elbaz das Modehaus Lanvin, Stefano Pilati wurde durch Alessandro Sartori bei Zegna ersetzt, über einen Abgang von Hedi Slimane bei Saint Laurent wird spekuliert) zeigen, wie dünnhäutig die Branche geworden ist. Beinahe euphorisch wurden denn die jüngsten Entwicklungen von manchen Modeinsidern aufgenommen.

Noch ist allerdings kaum abzusehen, vor welche Herausforderungen eine Verschiebung des Modekalenders die Marken stellt. Eine Kollektion muss Monate vor dem Präsentationstermin fertiggestellt und den Einkäufern gezeigt werden, Kampagnen müssen fotografiert, Werbefilme produziert werden.

Nicht beantwortet ist auch die Frage, wie man die Vorlaufzeiten, die traditionelle Medien benötigen, garantieren möchte. Kaum ein Modehaus wird auf die Berichterstattung und die Fotoshootings durch Zeitungen und Magazine verzichten wollen.

"Der Design- und Kreativprozess wird von den Änderungen nicht stark betroffen sein", erklärte Bailey, "die Lieferkette aber schon." Während große Unternehmen diese relativ gut kontrollieren können, sind kleinere von den bestehenden Strukturen abhängig. Sie könnten angesichts der Änderungen durch die Finger schauen.

Kurz vor Redaktionsschluss kündigte übrigens auch Tommy Hilfiger an, im September eine Modeschau für Konsumenten auszurichten – mit gleich anschließendem Verkaufsstart. (Stephan Hilpold, RONDO, 19.2.2016)