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Kanzler Faymann glaubt, Nachahmer zu finden.

Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Berlin/Wien – Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) rechnet nach eigenen Worten damit, dass Deutschland die restriktivere Flüchtlingspolitik Österreichs bald übernehmen wird. Regierungen müssten "mit Blick auf die Realität" Beschlüsse fassen, sagte Faymann dem "Kurier". "Das haben wir getan, und da glaube ich, dass wir Schritte gesetzt haben, die Deutschland auch noch setzen wird. Ich bin persönlich überzeugt, dass wir da bald wieder im Gleichklang sein werden."

Die österreichische Regierung hatte am Dienstag angekündigt, an 13 Grenzübergängen im Süden schärfer kontrollieren zu wollen. Bereits im Jänner einigten sich SPÖ und ÖVP, heuer eine Obergrenze bei der Aufnahme von Asylwerbern einzuziehen.

Angela Merkel will beim EU-Gipfel weiter um eine "europäisch-türkische" Lösung der Flüchtlingskrise kämpfen. "Wo wir jetzt angekommen sind, rechtfertigt, genau auf diesem Weg weiterzumachen", sagte die deutsche Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung im Bundestag zum am Donnerstag beginnenden Gipfel.

Dieser Gipfel, so Merkel, werde über einen von zwei Wegen entscheiden: Eben den der Sicherung der EU-Außengrenzen mit Hilfe der Türkei. Oder, so Merkel, "müssen wir jetzt schon aufgeben und stattdessen die griechisch-mazedonisch-bulgarische Grenze schließen?"

Merkel dämpfte Erwartungen, dass der Gipfel auch Fortschritte in der Frage von Kontingenten bringen werde. Man könne jetzt noch nicht über eine Verteilung der Flüchtlinge sprechen: "Wir machen uns in Europa lächerlich." Zuerst gelte es jene 160.000 Flüchtlinge unterzubringen, deren Verteilung schon beschlossen worden ist.

Maas hofft weiterhin auf faire Verteilung

Deutschlands Ziel beim Gipfel ist nach Angaben des Justizministers Heiko Maas (SPD) weiterhin die gerechte Lastenteilung in der Flüchtlingskrise. "Wir werden nicht aufhören, für eine faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb Europas zu werben", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.

Wie in der Eurokrise müsse die EU eine gemeinsam Antwort finden, um die riesige Bewährungsprobe zu meistern, so Maas. Kein Nationalstaat werde die Flüchtlingskrise als globales Problem alleine lösen können. "Unsere Vorstellungen von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit werden wir als Europäer nur gemeinsam behaupten können." Europas Außengrenzen müssten gesichert werden, "damit Schengen, die Freizügigkeit und der Binnenmarkt eine Zukunft haben". Schon die kommenden Wochen werden über die Zukunft Europas entscheiden, sagte Maas.

Juncker stärkt Merkel den Rücken

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker machte bereits Erfolge der gesamteuropäischen Flüchtlingspolitik aus. "Wir sehen endlich erste Fortschritte", sagte Juncker in einem im Voraus veröffentlichten Interview mit "Bild". Es werde zwar dauern, bis "alle Maßnahmen, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten in Europa beschlossen haben, greifen".

Aber in Griechenland würden jetzt bei neun von zehn Asylbewerbern die Fingerabdrücke genommen; im September seien es acht Prozent gewesen. "Dank wichtiger Beschlüsse der türkischen Regierung sehen wir einen Rückgang der Flüchtlingszahlen von dort: Laut Frontex kamen im Oktober täglich 7.000 und im Dezember 3.500 aus der Türkei nach Griechenland. Heute sind es 2.000 Menschen." Zudem seien "in Rekordzeit" die Gelder verdoppelt und 10,1 Milliarden Euro durch Umschichtungen mobilisiert worden.

Juncker stärkte zudem der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise den Rücken. "Kanzlern wurde immer dann Anerkennung gezollt, wenn sie ihren Kurs in stürmischen Zeiten beibehielten", sagte Juncker dem Blatt. "Ich denke vor allem an die weitblickende Wiedervereinigungs-Politik von Helmut Kohl. Die Geschichte hat ihm recht gegeben, und sie wird Angela Merkel recht geben." Die von Merkel und ihm selbst vertretene europäische Flüchtlingspolitik werde sich durchsetzen. "Angela Merkel wird all ihre jetzigen Kritiker im Amt überdauern."

Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk werden am Mittwochabend noch mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Tihomir Oreskovic, Serbiens Präsident Tomislav Nikolic, dem Präsidenten von Mazedonien Gjorge Ivanov sowie dem slowenischen Premier Miro Cerar zusammentreffen, um über die Probleme entlang der Balkanroute zu sprechen.

Italien als "Enklave der Verzweiflung"

Die EU-Kommission akzeptiert indes die von Österreich nun auch angekündigten Grenzkontrollen zu Italien. "Österreich hat uns bereits im September über die Wiedereinführung zeitweiliger Kontrollen informiert. Die Meldung hat alle Grenzübergänge im Rahmen des Schengen-Grenzkodex betroffen", erklärte eine Kommissionssprecherin am Mittwoch. Im Februar sei die Sache verlängert worden. "Weitere Meldungen sind nicht erforderlich", so die Sprecherin.

In Italien schlägt die rechtskonservative Oppositionspartei Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi allerdings wegen der Auswirkungen des Brenner-Grenzmanagements auf Italien Alarm. Italien drohe die Gefahr, zur "Enklave der Verzweiflung" der Flüchtlinge zu werden.

"Nach dem österreichischen Beschluss, wieder Grenzkontrollen einzuführen, wird sich die Lage in Italien wesentlich verschlechtern. Wegen der Politik der linken Regierung ist Italien zum Parkplatz der Verzweiflung geworden, jetzt wird das Land sogar eine Enklave der Verzweiflung werden", erklärte der Senator der Forza Italia, Marco Marin und fügte hinzu: "Und was tut die Regierung Renzi? Sie schweigt".

"Im angrenzenden Österreich wird de facto das Schengen-Abkommen außer Kraft gesetzt und man spricht von der Errichtung von Zäunen. Wo werden die Flüchtlinge hingehen?", fragte die Parlamentarierin der Forza Italia, Sandra Savino. Es bestehe die konkrete Gefahr einer Zunahme der Migrantenströme über das Mittelmeer, da die Balkanroute de facto geschlossen sei.

Aufregung in Ungarn

In Ungarn sorgten die Aussagen im Faymann-Interview erneut für Aufregung. Außenminister Peter Szijjarto erklärte am Mittwoch in einer Aussendung, Österreichs Kanzler setze seine "jämmerliche Lügenkampagne" gegen Ungarn fort. Faymann sagte über die Politik des ungarischen Premiers Viktor Orbán: "Ich lasse mich nicht mit jemandem vergleichen, der keine Flüchtlinge nimmt, sie nicht ordentlich betreut und in ein faires Verfahren bringt."

Außenminister Szijjarto wies diese "dummen Anschuldigungen" zurück. Ungarn habe stets Migranten aufgenommen, nur keine Wirtschaftsflüchtlinge. Zugleich sei in Ungarn für alle Migranten eine ordentliche Versorgung und ein korrektes Verfahren gesichert. Während Faymann im Vorjahr Ungarn noch wegen seines Grenzzaunes beleidigt und die "Politik der offenen Tore" verkündet habe, baue er heute selbst einen Zaun und wolle das Tor schließen. Laut Szijjarto hat Faymann in den vergangenen Monaten ein Verhalten an den Tag gelegt, das "eines europäischen Politikers unwürdig" ist. (red, APA, dpa, 17.2.2016)