Wien/Graz – Die umstrittene Einstellung des Verfahrens gegen die rechte Zeitschrift "Aula" durch die Grazer Staatsanwaltschaft ist für die renommierte Sprachwissenschafterin Ruth Wodak von der Universität Wien "sehr bedenklich". Wie berichtet hatte der grüne Abgeordnete Harald Walser den Autor eines "Aula"-Artikels angezeigt, in dem befreite Häftlinge des KZ Mauthausen als "Landplage", "Kriminelle" und "Massenmörder" bezeichnet wurden. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren dennoch eingestellt.
"Bedeutung von Mauthausen wird verändert"
Wodak war selbst immer wieder als Gutachterin in Verfahren involviert – unter anderem in prominenten Fällen, in denen es um Holocaust-Verharmlosung und Antisemitismus ging. Sie sehe hier "eine Umschreibung von Geschichte, wenn man behauptet, dass da Kriminelle und Massenmörder waren. Das würde das KZ in ein Straflager umwandeln", sagt Wodak im Gespräch mit dem STANDARD. Als Sprachwissenschafterin stelle sie dazu fest, dass "die ganze Bedeutung von Mauthausen verändert wird, als ob dort Leute eingesperrt gewesen wären, die es verdient hatten, bestraft zu werden".
Zudem sei der Begriff "Landplage" ein Skandal: "Da wurde offenbar wirklich nur im Duden nachgeschaut, anstatt ein sprachwissenschaftliches Gutachten zu diesem Begriff einzuholen. Die Etymologie des Gebrauchs von 'Landplage' geht zurück bis zu Martin Luther und ist auch in der NS-Sprache verankert." So könnten damit landläufig "auch Insekten gemeint sein", sagt Wodak, "es ist auch möglich, den Begriff als Enthumanisierung zu lesen. Dieser enthumanisierende Aspekt wurde gerade in der NS-Zeit für die sogenannten Untermenschen gebraucht."
Wodak ist sich sicher, dass man sich dieser Lesart bewusst geworden wäre, hätte man einen Sachverständigen aus der Sprachwissenschaft oder der Zeitgeschichte hinzugezogen: "Es ist der Justiz sehr wohl bekannt, dass wir dazu in Österreich, in Wien wie auch in Innsbruck, eine große Expertise haben." Ob Gutachter für die Entscheidung herangezogen wurden, hat Walser in seiner parlamentarischen Anfrage an Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) nachgefragt. Eine Antwort wird für März erwartet.
Kritik an Rechtsschutzbeauftragtem
Ein weiterer Punkt, den Wodak an der Chronologie der Verfahrenseinstellung kritisiert, ist die Rolle des 82-jährigen Rechtsschutzbeauftragten der Justiz, Gottfried Strasser, der die Einstellungsbegründung für in Ordnung befunden hatte – mit dem Hinweis auf seine Jugenderlebnisse und Erzählungen seiner Großmutter. "Auch das ist sehr bedenklich, dass ein Rechtsschutzbeauftragter mit Anekdoten argumentiert und nicht mit Fakten aus der Geschichte. Das kennen wir aus der Vorurteilsforschung, da gibt es immer wieder anekdotische Beweisverfahren, die dann generalisiert werden."
Was die verantwortliche Staatsanwältin in Graz angehe, so glaube Wodak, dass diese "entweder naiv ist oder im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst hat". Wodak fordert wie andere auch eine Reaktion von höchster Stelle: "Auf jeden Fall muss der Justizminister jetzt einmal Stellung beziehen." (Colette M. Schmidt, 17.2.2016)