Wien – Das Charakterbild von Mrs. Silvia Tebris weist nichts Rohes auf, keine Eigenschaft, die man der Sphäre der Tiere einfach so umstandslos zuschlagen würde. Im Gegenteil, die im englischen Oxfordshire lebende junge Dame wird von ihrem Autor David Garnett (1892-1981) als rechtschaffen und "streng erzogen" beschrieben.
Immerhin: "Auffällig kleine Hände und Füße" soll die "ansprechende" 23-Jährige besessen haben. Schwerer wiegt da schon der Hinweis auf Silvias Mädchennamen. Fox hieß die gute Partie vom Lande. Womit schon mehr gesagt ist, als Mr. Tebris, ihrem liebenden Gatten, sehr bald lieb sein dürfte.
Da der Erzähler Garnett Brite ist, ein Snob von vollendetem Geschmack, kommt er rasch auf dasjenige zu sprechen, was für ihn eine Dame der besten Gesellschaft in allererster Linie auszeichnet. Silvia hatte, wenigstens bis zum Zeitpunkt ihrer ominösen Verwandlung, als Frau "mit vorbildlichen Prinzipien und beachtlicher Bildung" zu gelten. Allerdings nur bis zu jenem verstörenden Ereignis, das den kleinen Roman Dame zu Fuchs, erschienen 1922, in den Rang der Weltliteratur erhebt.
Kafka in knapper Form
Unzweifelhaft stellt ihn sein Thema an die Seite von Franz Kafkas Verwandlung. Der argentinische Bibliomane Jorge Luis Borges ging sogar noch einen Schritt weiter: "Die berühmteste Erzählung Kafkas wäre, in knapper Wiedergabe, beinahe Lady into Fox."
Was Richard Tebrick zu sehen bekommt, ist für ihn von bestürzender Realität. Auf einem Spaziergang durch Britanniens saftiges Grün hören die Eheleute eines lieblichen Tages Jagdhörner schallen. Richards Aufmerksamkeit schweift hinüber zur Hetzmeute. Als er sich umdreht, ist es um ihrer beider Glück geschehen. "Wo eben noch seine Frau gewesen war, stand, mit leuchtend rotem Fell, ein kleiner Fuchs." Ein Irrtum scheint unmöglich. Der kleine Reineke weiblichen Geschlechts blickt den Gatten fassungslos an. Mr. Tebrick ist nun kein Zimmervermieter in Kafkas Prag, sondern ein wohlsituierter Grundherr im England Seiner Majestät, König George V. Richard kann es sich leisten, das kleine Pelzbündel zu packen und in sein Herrenhaus zu tragen.
Die kleine Fähe leistet ihrem Gemahl mit schuldbewusstem Blick Gesellschaft. Rasch werden die Hofhunde erschossen, die Domestiken unter einem Vorwand entlassen. Am wichtigsten, so suggeriert es dieser famose Roman, ist es, die gesellschaftliche Fassade aufrechtzuerhalten.
Richard ist wild entschlossen, mit dem scheinbar niedlichen Tier die einmal eingegangene Ehe fortzuführen. Da tut es lange Zeit wenig zur Sache, dass die Fähe bald solche Instinkte ausbildet, die man, vom Standpunkt des Fuchsforschers aus gesehen, nur als artgerecht bezeichnen kann. Das Ende tragisch zu nennen könnte daher auch nur unverbesserlichen Humanisten einfallen. Ein großes kleines Buch. (Ronald Pohl, 17.2.2016)