Lydias (Pauline Acquart) Chauffeurin durch eine Welt der Illusionen in "Los Feliz" ist Kaya (Yukika Kudo), eine Göttin des Shintoismus, die eine animistische Vorstellung von Natur repräsentiert.


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Edgar Honetschläger (48), Künstler und Filmemacher.

Foto: Heribert Corn

Wien – Es ist eine Reise entlang der Illusion in mehrfacher Hinsicht: Denn einerseits begleitet Edgar Honetschlägers neuester Spielfilm Los Feliz Lydia, eine Schauspielerin auf ihrem Weg nach Hollywood – eine Suche nach Ruhm, für den die junge Frau auch den Pakt mit dem Teufel nicht scheut. Andererseits ist das Roadmovie der erste Langfilm, der – bis auf Anfang und Ende – komplett im Studio, also vor Kulissen gedreht wurde, die obendrein gemalt sind.

Statt geplanter drei Monate brauchte es drei Jahre für die nun dank einer Maschine rollenden, in japanischer Tinte gefertigten Szenenbilder. Honetschläger, der sich als bildender Künstler sieht, der auch Filme macht, verschränkt also die Medien Malerei und Film. Eine formale Liaison, die in Los Feliz auch eine inhaltliche Dimension erhält, als eine dunkle Kraft beginnt, an der Bildermacht von katholischer Kirche und Hollywood zu kratzen.

edgar honetschläger

Los Feliz wird nun im Rahmen einer Art Making-of-Ausstellung im 21er-Haus welturaufgeführt. Vor dem Kinostart (14. 3.) läuft er aber auch im Wettbewerb der Diagonale (8. bis 13. 3.). Komplettiert werden die Honetschläger-Festspiele mit einer weiteren Ausstellung (Galerie Charim, ab 20. 2.) und einer Retrospektive im Filmarchiv Austria (ab 14. 3.).

STANDARD: Die Idee zum Film entstand im Jahr 2000 in Los Angeles, tatsächlich in Hollywood. Was reizte daran, ein Roadmovie zu drehen, ohne auf Reisen zu gehen?

Honetschläger: Das Prinzip des Rolling-Background-Strip gibt es schon lange, aber es hat noch niemand gewagt, damit einen ganzen Film zu machen. Mich reizte es auch, weil es mir die Möglichkeit gab, die Bereiche Malerei und Film zusammenzuführen.

STANDARD: Die Ansage "Roadmovie, gefilmt in einem Studio" schürt Erwartungen an den Illusionismus. Diese enttäuschen Sie aber und servieren reduzierte zweidimensionale Bilder. Ein bewusstes Spiel?

Honetschläger: Die Idee war, einen Film zu schaffen, der beides kann: der dich mitnimmt und dir auch immer wieder die Illusion dahinter aufzeigt. Einerseits in die Handlung hineinfallen lassen und andererseits bar legen, dass der Film nichts anderes ist, als eine große Lüge. Das geht gar nicht anders. Als Künstler musst du ja hinter die Dinge schauen.

STANDARD: Musikalisch beginnt es wie ein Ende, so als ob gerade ein Trauerzug Richtung Friedhof unterwegs wäre: Mit Richard Strauss' "Im Abendrot", nach einem Gedicht von Eichendorff über den nahen Tod. Warum?

Honetschläger: Der Anfang ist ein Ende. Es ist ein Abgesang auf die westliche Kultur. Du siehst die Bilder von Los Angeles, diese enigmatischen Bilder von Palmen und das Hollywood-Zeichen taucht auf. Der Film ist von viel Trauer durchsetzt. Die Menschen in Los Angeles hoffen alle. Sie sitzen vorm Telefon und warten darauf, dass endlich der Agent anruft. L.A. ist die westlichste Stadt des Westens, dann kommt der große Ozean und dann Tokio, die östlichste Stadt des Ostens. Innerhalb der industrialisierten Welt ist das der größte Sprung, den du wohl von der Mentalität her machen kannst.

STANDARD: "Los Feliz" ist ein Film darüber, wer die Herrschaft über die Bilder hat: Der Vatikan tritt als Gralshüter des westlichen Bilderglaubens fernöstlichen Konzepten gegenüber.

Honetschläger: Der Grundgedanke des Films ist, wer die Bilder macht, der hat die Macht. Wir dominieren die Welt zweifelsohne immer noch mit den Bildern, die wir erzeugen. Wir wissen, dass nichts stärker wirkt, als ein Bild. Denken wir an die Flüchtlingskrise und das Bild des toten Kindes am Strand. Das Bild ist generell so dominant, das Sehen so stark. Aber stellen Sie sich vor, in einem ganz anderen Teil der Welt aufzuwachsen, dann haben Sie ganz andere Vorstellungen vom Leben, sind anders konditioniert. Und dann schauen Sie zum ersten Mal einen Hollywood-Film, der im Grunde darauf angelegt ist, dass er Wünsche und Bedürfnisse erzeugt.

STANDARD: Kaya, die shintoistische Göttin sagt, der Westen sei an der Macht, weil seine Religion die Illusion von Freiheit, Liebe und Dreidimensionalität verbreitet. Im Osten stelle man sich hingegen Raum vor. "Es ist wie die Liebe. Man muss es nicht sagen, man fühlt es." Was prallt da aufeinander: Illusionismus und Vorstellungskraft?

Honetschläger: In der westlichen Malerei entsteht der Raum ja durch hinzufügen. Ich bin überzeugt, dass man diese drei Dimensionen durch die Zentralperspektive nur sehen kann, weil man es gelernt hat. In Japan sind die Bilder nicht umsonst so reduziert gearbeitet. Es ist fast nichts drauf, aber die Japaner sehen alles. Das, was zu sehen ist, impliziert das Ganze rundherum. Sie lernen von Kindheit an, sich alles andere dazu zu denken. Es ist eine andere Form des Sehens. Und anders sehen bedeutet in Folge auch anders fühlen.

STANDARD: Es heißt im Film: "Die Zentralperspektive macht die Menschen passiv."

Honetschläger: Ja und der Film setzt diesen Wunsch nach Tiefe fort: je tiefer desto besser, dass du verschmelzen kannst mit der Illusion. Jeder will einfach abtauchen können. In letzter Konsequenz macht es dich unkritisch. Du akzeptierst es dann, wie es ist.

STANDARD: Sie sagen "Das Christentum hat als einzige Religion das Bild zum Hauptträger seiner Überzeugungskraft gemacht." Wären die Bilder, ohne die Macht der christlichen Religion auch nicht so machtvoll geworden?

Honetschläger: Wenn man eine Zeit in einem anderen Kulturkreis gelebt hat, sieht man erst, wie alles um uns herum vom Christentum geprägt ist. Das kriecht in uns hinein, bestimmt unser Sehen und unser Verständnis von der Welt.

STANDARD: Wenn die Bilder unsere Weltordnung, unsere Art, wie wir die Welt begreifen, so sehr bestimmen, ist "Los Feliz" dann als ikonoklastischer Film zu sehen?

Honetschläger: Es hat sogar eine Drehbuchfassung gegeben, wo die drei Kardinäle sich intensiv zu diesem Thema unterhalten haben und auf das Konzil von Nicäa und den Bilderstreit eingegangen sind. Zumindest unterschwellig versucht der Film auszubreiten, was geschehen wäre, wenn es damals nicht dazu gekommen wäre, Bilder in der katholischen Religion zuzulassen.

STANDARD: Road-Movies sind oft schnelle Erzählungen, hinter jeder Wegbiegung wartet eine neue Überraschung, so als ob die Straße, die Fortbewegung diese schnellen Wechsel irgendwie glaubwürdiger machen würde. "Los Feliz" nimmt das Tempo auf extreme Weise heraus. Man könnte im übertragenen Sinn nebenherspazieren. Was bedeutet das Tempo für Sie?

Honetschläger: Auf der einen Seite hat es natürlich mit der Technik zu tun Andererseits war der Film war schon schneller geschnitten als er jetzt ist, aber ich habe das Gefühl gehabt, dass er viel mehr funktioniert und sich viel mehr erfüllt, wenn man sich das auch in Ruhe anschauen kann, was da passiert. Es passiert eh genug, aber in einem anderen Tempo als man gewöhnt ist. Heute macht man normalerweise Drei- bis maximal Fünf-Sekunden-Schnitte. Meine Filme habe ich schon immer recht langsam erzählt, weil ich das auch als Konsument sehr schätze.

STANDARD: Jeder Satz erhält so einen Nachhall durch die Langsamkeit.

Honetschläger: Es geht um Leere. Das ist ein wichtiger Aspekt. Ich finde, man sollte dem Zuschauer immer die Möglichkeit geben, eine Leere zu füllen, dass er Zeit hat zum Denken. Du musst ihm die Möglichkeit geben, in Momenten der fahrenden Monotonie zu sich zu kommen.

STANDARD: Sie sparen auch nicht mit Klischees: Der Ami mit Baseballcap, der beim Anblick der Skyline von New York – im Land der unbegrenzten Möglichkeiten – feststellt: "everything is possible" und dann bei der ersten Provokation die Knarre zückt.

Honetschläger: Natürlich spiele ich ganz stark mit Klischees. Aber ich habe viele Jahre in den USA gelebt und das Klischee tritt dir dort halt auch täglich ins Gesicht. Es freut mich, dass meine amerikanischen Freunde sich vom Film nicht angegriffen fühlen und sehr gelacht haben. Ich will ja niemanden verletzen, bin nicht dazu da, den Leuten, die Welt zu erklären, sondern Fragen aufzuwerfen.

STANDARD: Etwa zum Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen und zu kulturellen Transfers wie in vielen ihrer Filme? In "Los Feliz" scheint sich der Bilderglauben des Westens vor der fernöstlichen Philosophie und Perspektive bewähren zu müssen.

Honetschläger: Nein, das würde ich nicht so sehen. Meine Arbeit nährt sich aus dem Vergleich. Mich interessiert es, an die Wurzel der Dinge zu gehen, ein sehr anthropologischer Ansatz. Es geht letztlich darum, darzustellen, dass jede Kultur Dinge anders löst, aber keine sich einzubilden braucht, das richtigere Prinzip zu haben. Wichtig ist, dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, seine eigenen Wertvorstellungen in Frage zu stellen. Eigentlich sind es Plädoyers für Gleichwertigkeit, dafür sich nicht über die anderen zu stellen. (Anne Katrin Feßler, 17.2.2016)