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Im Mai 1997 wurde Geschichte geschrieben, als erstmals eine Maschine den amtierenden Weltmeister im Schach besiegte: IBMs berühmter Supercomputer Deep Blue triumphierte über Garri Kasparow.

Foto: PETER MORGAN

Wien – Vor rund 60 Jahren hatte der US-Wissenschafter John McCarthy eine Vision: eine Maschine zu entwickeln, die wie ein menschliches Gehirn denken und lernen kann. Dieses Ziel vor Augen, organisierte er im Sommer 1956 einen mehrwöchigen Workshop am Dartmouth College in New Hampshire. In seinem Förderantrag an die Rockefeller Foundation für diese Konferenz prägte McCarthy einen Begriff, aus dem eine eigene Wissenschaftsdisziplin hervorgehen sollte: künstliche Intelligenz. Und diese Saat, die er damals ausgebracht hatte, scheint nun reife Früchte hervorzubringen.

Vom Campus zur Wall Street

Längst treibt das Zauberwort "künstliche Intelligenz" nicht nur Wissenschafter in Universitäten um, sondern hat schon längst die Forschungslabors im Silicon Valley und zuletzt auch die Analyseabteilungen der großen Wall-Street-Akteure erreicht. Zu groß und gewaltig erscheinen nicht zuletzt auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich durch die Realisierung von McCarthys Vision eröffnen dürften. Folglich wundert es nicht, dass sich nahezu alle namhaften IT-Konzerne, darunter auch fünf der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt, intensiv diesem Thema widmen.

Lange galt IBM als Vorreiter, dem auch eine Sternstunde gelang, als der damalige Supercomputer Deep Blue 1997 erstmals einen amtierenden Schachweltmeister, den Russen Garri Kasparow, besiegte. Vor wenigen Wochen ist es nun auch erstmals einer Maschine geglückt, bei dem komplexeren, ursprünglich aus China stammenden Brettspiel Go einen menschlichen Profispieler zu besiegen. Freilich stammt dieses System nicht mehr von Big Blue, wie IBM auch genannt wird, sondern aus dem Hause Google, das längst als führend in Sachen künstlicher Intelligenz gilt.

Simulation des Gehirns

Kein Wunder, denn zur Entwicklung von maschineller Intelligenz ist eine riesige Menge an Daten eine der Grundzutaten, wie TU Wien-Professor Thomas Eiter vom Institut für Informationssysteme erläutert. Und davon hat Google dank seiner Suchmaschine genug. Des Weiteren benötigt man möglichst kraftstrotzende Computer, denen über sogenannte neuronale Netze Intelligenz und Lernfähigkeit eingehaucht werden sollen. "Das ist in gewissem Sinn eine Simulation des menschlichen Gehirns", erklärt Eiter.

Aber auch komplexe Spiele wie Go sind verglichen mit der realen Welt geradezu trivial. Zur Verdeutlichung eignen sich selbstfahrende Autos, denn im Gegensatz zu Go ist auf der Straße keineswegs gewährleistet, dass sich alle Teilnehmer an die Spiel- bzw. Verkehrsregeln halten. Das System muss selbstständig entscheiden, wie es auf solche Situationen reagiert – und laufend dazulernen. "Beim autonomen Fahren ist künstliche Intelligenz stark gefordert", erklärt der TU-Professor, der die technische Marktreife selbstfahrender Autos in fünf bis zehn Jahren erwartet.

Fehlerquelle Mensch

Aber auch zur Verdeutlichung, wie künstliche Intelligenz schrittweise immer mehr Bereiche des menschlichen Lebens durchdringen wird, eignet sich das autonome Fahren. Denn in der Vergangenheit haben immer mehr smarte Helferlein wie etwa Antiblockiersysteme das Autofahren erleichtert, sodass letzten Endes auch die größte Fehlerquelle, der Mensch am Steuer, durch einen Computer ersetzt wird.

"Aber die Welten, in denen künstliche Intelligenz momentan bestehen kann, sind noch begrenzt", räumt Eiter ein. Als Grundlagenforscher will er keine Prognosen abgeben, ab wann intelligente Maschinen ganze Berufsbilder ersetzen können, allerdings hält er dies nicht mehr für utopisch. Zunächst erwartet er es für Tätigkeiten im Verwaltungsbereich oder auch für Callcenter.

Um die gesamte Entwicklung dieses Bereichs voranzutreiben, hat Google übrigens unlängst das Programm "Tensorflow", eines seiner wichtigsten Werkzeuge für künstliche Intelligenz, als Open Source der Öffentlichkeit gratis zur Verfügung gestellt. Laut Google-Chef Sundar Pichai ist "Tensorflow" fünfmal schneller als seine Vorgänger und maßgeblich für Googles Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens. Facebook hat in intelligente Systeme ebenfalls massiv investiert, während Amazon sein "Machine Learning Service" zur Analyse großer Datenmengen bereits zur Miete anbietet.

Ungeahnte Möglichkeiten

Wohin diese Entwicklung führen wird, ist selbst für Experten wie TU-Professor Eiter offen: "Welche Möglichkeiten künstliche Intelligenz à la longue bringen wird, können wir nicht abschätzen." Durch Hollywood-Blockbuster wie Terminator hervorgerufene Bedenken versucht Eiter wie folgt zu zerstreuen: "Wir müssen vor künstlicher Intelligenz nicht mehr Angst haben als vor anderen Technologien. Man kann fast alles zum Guten oder zum Bösen einsetzen."

Man darf annehmen, dass der Wissenschafter McCarthy, dem neben anderen Auszeichnungen 1991 die National Medal of Science verliehen wurde, ursprünglich nichts Böses im Schilde führte. Allerdings wird der 2011 verstorbene Pionier nicht mehr erleben, wie künstliche Intelligenz unser Berufs- und Alltagsleben auf den Kopf stellen wird. (Alexander Hahn, 18.2.2016)