Die Zeugnisse sollen in der Volksschule bis zur dritten Klasse künftig ohne Noten auskommen.

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Wien- Sitzenbleiben in der Volksschule soll künftig der Vergangenheit angehören. So sieht es zumindest Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) in einem Gesetzesentwurf vor. Im Ministerratsvortrag zur Bildungsreform war davon allerdings noch keine Rede. SPÖ und ÖVP hatten lediglich vorgesehen, dass "der Schulstandort" autonom entscheidet, "ob es alternative Leistungsbeurteilungen gibt".

Jetzt will Heinisch-Hosek Fakten schaffen: Die künftig "Bewertungsgespräch" genannte verbale Beurteilung soll von der ersten bis zur dritten Klasse verpflichtend sein. Eltern und Erziehungsberechtigte sollen dabei über "Lern- und Entwicklungsstand, Lernfortschritte, Leistungsstärken sowie Begabungen" informiert werden. Jedes Semester stehen schriftliche Semester- und Jahresbeurteilungen statt Ziffernnoten an.

In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf folgert man, dass "Kinder der 1. bis zur 3. Schulstufe jedenfalls zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe, also bis in die 4. Klasse berechtigt sind". Damit sei ein "höchstmögliches Maß an Individualisierung" möglich. Denn: "Moderne Pädagogik darf ein Wiederholen von Schulstufen in diesem Altersbereich nicht zulassen."

Bildungsministerin soll sich an Vereinbarungen halten

In der ÖVP sieht man das ganz anders. Bildungssprecherin Brigitte Jank erklärt: "Die Bildungsministerin sollte sich an Vereinbarungen halten." Eine "erstmalige Beurteilung, ob die Bildungsziele erreicht sind", sei in der vierten Klasse "problematisch".

Der Entwurf aus dem Bildungsministerium sieht Ausnahmen zwar vor, diese seien aber "äußerst restriktiv zu handhaben". Bisher fallen pro Schuljahr lediglich 0,5 Prozent der Volksschüler durch. Kinder jener Eltern, die zusätzlich Noten einfordern, sollen laut Entwurf auch bei negativer Beurteilung aufsteigen. Und, ebenfalls neu: Auch die Verhaltensbeurteilung soll entfallen und durch eine "Beschreibung der Entwicklungssituation" ersetzt werden.

Bildungspsychologin sieht "positive Effekte"

Bildungspsychologin Christiane Spiel von der Uni Wien hält verbale Beurteilungen statt Ziffernnoten für "sehr förderlich und unterstützend" . Eine differenzierte Rückmeldung über das, was die Schüler gut und was sie besser machen können, ermögliche es, Selbstwertgefühl und Motivation zu steigern. Das Problem von Ziffernnoten sei, dass sie maßgeblich von der Lehrperson abhängen.

Auch, dass das Sitzenbleiben abgeschafft werden soll, begrüßt die Bildungspsychologin. "Positive Effekte beim Wiederholen einer Klasse sind sehr selten", sagt sie.

Für acht Schüler aus Groß-Siegharts kommen diese Pläne zu spät: Sie alle müssen heuer die dritte Klasse wiederholen, was der Volksanwaltschaft so außergewöhnlich erscheint, dass sie ein Prüfverfahren eingeleitet hat. Volksanwalt Peter Fichtenbauer mutmaßt, man habe auf dem Rücken der Kinder "Organisationspolitik" betrieben und die nachfolgende Klasse mit nur elf Schülern "auffüllen wollen". Die Direktorin wollte auf Standard -Anfrage nicht Stellung nehmen. (Lisa Kogelnik, Karin Riss, 17.2.2016)