Etwas ist faul im Staate Ukraine. Die Meldungen der vergangenen Wochen deuten auf eine bedenkliche Entwicklung hin: Die Kämpfe im Donbass nehmen an Intensität wieder zu, das Autonomiegesetz hingegen liegt auf Eis; ein Minister erklärt aus Protest gegen Korruption in der obersten Führungsetage seinen Rücktritt, Investoren und der Internationale Währungsfonds reagieren verstört, doch in Kiew geht der Machtkampf unbeirrt weiter. Persönliche Eitelkeiten und Interessen stehen über staatlichen Belangen.

Die gescheiterte Abwahl von Premier Arseni Jazenjuk ist nur eine weitere Episode in der Tragikomödie, die beweist: Chaos ist Trumpf dieser Tage in Kiew. Jazenjuk, der Präsident Petro Poroschenko lange Zeit als Blitzableiter gedient und den Volkszorn für viele unpopuläre Maßnahmen auf sich gelenkt hat, droht den Präsidenten mitzureißen in seinem dramatischen Sturz auf der Ratingskala. Der Versuch, sich von dem unliebsam und zu machtgierig gewordenen ehemaligen Mitstreiter zu befreien, endete für Poroschenko mit einem PR-Desaster. Poroschenko wollte – auch gegenüber dem Westen und den Kreditgebern – Stärke und Entschlossenheit demonstrieren. Dabei wurde ihm seine eigene Schwäche vorgeführt.

Doch auch für Jazenjuk ist das überstandene Misstrauensvotum ein Pyrrhussieg. Die Abwahl scheiterte nicht, weil er Rückendeckung aus den eigenen Reihen bekam, sondern weil ausgerechnet die Opposition, deren Abgeordnete ihn zuvor in Grund und Boden verdammten, nicht abstimmte. Gerüchte über Stimmenkauf gibt es schon. Die "Vaterlandspartei" von Julia Timoschenko ist aus der Regierungskoalition ausgestiegen. Das Klima dort ist nach dem offensichtlichen Eklat zwischen Poroschenko und Jazenjuk vergiftet. Die Arbeit der Regierung wird nur noch schwerer, wenn nicht gar unmöglich.

Dabei ist schon jetzt mehr als die Hälfte der Abgeordneten mit der Tätigkeit des Kabinetts unzufrieden – und das völlig zu Recht. In seinem Rechenschaftsbericht vor der Rada ritt Jazenjuk sein Steckenpferd, indem er ein weiteres Mal den Kreml für alle Probleme der Ukraine verantwortlich machte. Doch die Bekämpfung alles Russischen ist mitnichten ein ausreichendes Regierungsprogramm; selbst – oder gerade – in der Ukraine. Das Land hat ein Recht darauf, sich nach Europa zu orientieren. Doch dazu ist nicht das Abbrennen der Brücken gen Osten, sondern der Bau neuer Brücken nach Westen erforderlich. Um aus der tiefen Krise zu kommen, geht es darum, Barrieren in Form von Korruption und Inkompetenz abzubauen, nicht darum, neue Barrikaden zu errichten. Doch die Reformen stecken fest.

Zwei der wichtigsten: die Kaderreform, die unter anderem daran scheitert, dass es für staatliche Posten immer noch keine angemessene Vergütung gibt und daher oft Personen ins Amt kommen, die entweder unqualifiziert sind oder eigene Interessen verfolgen. Eng damit verknüpft ist eine Reform bei der Verwaltung von Staatseigentum, damit Ressourcen endlich effizient genutzt werden.

Doch all das bleibt bei dem Streit innerhalb der Führung um persönliche Einflusssphären außer Acht. Wer den Machtkampf am Ende gewinnt, ist noch lange nicht entschieden. Klar ist aber eins: Wenn er noch lange andauert, steht der Verlierer schon fest. Es ist wie so oft das einfache Volk in der Ukraine. (André Ballin, 17.2.2016)