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Seit Monaten verkehren Schlepperboote zwischen der Türkei und Griechenland. Dabei wurde die Türkei bereits mit finanziellen Mitteln der EU ausgestattet.

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EU-Kommissar Johannes Hahn.

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STANDARD: Die Bürger in Europa haben Angst um Jobs, die Zukunft, sind besorgt wegen der Flüchtlinge. EU-Präsident Donald Tusk setzt das Thema der Sonderregelungen für die Briten als Erstes auf die Tagesordnung. Ist das nicht daneben?

Hahn: Diese dramatische Betroffenheit in der Flüchtlingsfrage haben wir in einigen Teilen Europas. In anderen Teilen beschäftigen sich die Leute mehr mit dem möglichen britischen EU-Austritt. Ich wäre kritisch, wenn nur der Brexit auf der Tagesordnung stünde. Aber die Flüchtlingsfrage ist mindestens gleichberechtigt.

STANDARD: In Österreich dominiert das Flüchtlingsthema, so wie in Zentraleuropa und auf dem Balkan.

Hahn: Nicht vergessen, wir hatten in den Jahren 2014 und 2015 dramatische Flüchtlingsströme im westlichen Mittelmeer. Das war damals im östlichen Teil der Union oder in Zentraleuropa nicht wirklich ein Thema.

STANDARD: Ist das der Grund, warum eine Lösung in der Flüchtlingsfrage so schwierig ist, weil die Wahrnehmung in den 28 Staaten so unterschiedlich ist?

Hahn: Vergleichen wir es mit der Wirtschafts- und Finanzkrise. Da waren alle Länder zwar unterschiedlich stark im Fokus, aber betroffen waren letztlich alle. Daher kam man damals auch relativ rasch zu Lösungen, beim Stabilitätspakt, bei der Budgetkontrolle, dem Sixpack und so weiter.

STANDARD: Sie meinen Anfang 2010, die Eurozone, als die Krise mit Griechenland losging?

Hahn: Nicht nur, später auch Irland, Portugal, Spanien et cetera. Es gab ein gesamtheitliches Problembewusstsein in der Eurozone. In der aktuellen Lage der Flüchtlinge gibt es sehr unterschiedliche Betroffenheiten und Sichtweisen. Nur hat das inzwischen solche Dimensionen angenommen, dass ich zuversichtlich bin, dass wir am Donnerstag schon zu Ergebnissen kommen.

STANDARD: Was erwarten Sie?

Hahn: Wir werden noch keine endgültige Struktur bei der Sicherung der EU-Außengrenze haben. Aber es wird zu Fortschritten kommen. Wenn wir nicht die Souveränität über den Zugang zu Europa wiederherstellen, können wir auch nicht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiederherstellen.

STANDARD: Aber es gibt nach wie vor keine europäische Lösung, nur einen Vorschlag der Kommission zur Stärkung der Grenzbehörde Frontex. Und die Nato startete jüngst eine Mission in der Ägäis.

Hahn: Auf Bitte der Union beziehungsweise von EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland. Das zeigt letztlich, wie sehr wir eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik brauchen.

STANDARD: Ist der Ansatz der Kommission, die gleichmäßige Aufteilung der Flüchtlinge auf alle Länder, obsolet? Es funktioniert nicht.

Hahn: Man wird es nur in einem europäischen Ansatz lösen können. Dass sich innerhalb der 28 Mitgliedstaaten Gruppen zusammentun, ist nicht ungewöhnlich. Genau so funktioniert Europa. Wenn man ein Problem hat, muss man Verbündete suchen.

STANDARD: Aber die EU-28 zusammenzubringen, das ist doch nicht gelungen, da gibt es die Willigen, dann die Osteuropäer, die nichts tun wollen, und so fort.

Hahn: Ich würde mir Sorgen machen, wenn die "Willigen" sich verfestigen und einen Block bilden. Das sind Länder, die betroffen sind und nach einer Lösung streben, weil sie sagen, es geht nur so. Wir können relativ schnell nur dann zu einer Lösung kommen, wenn sie zwischen den Regierungen gefunden wird. Wenn es funktioniert, ist nicht ausgeschlossen, dass das bei sich bietender Gelegenheit in eine europäische Vertragsstruktur übergeführt wird.

STANDARD: Wie geht es nun weiter mit der Aufteilung der Flüchtlinge? Die Umsiedlung von Flüchtlingen aus Griechenland ist gescheitert, vorläufig zumindest.

Hahn: Vorläufig funktioniert es nicht, das ist wichtig – vorläufig. Bis jetzt wurde ein Prozent der vorgesehenen Zahl an Flüchtlingen umgesiedelt. Da wird niemand sagen, das sei eine Erfolgsstory. Der entscheidende Punkt ist, dass wir imstande sind, an den Außengrenzen zu kontrollieren, wer kommt und wer nicht kommt. Dann entsteht auch wieder ein Klima in Europa, in dem Menschen bereit sind zu sagen: Ich nehme auch Flüchtlinge.

STANDARD: Österreich hat umfangreich Grenzkontrollen beschlossen, einige Balkanländer sollen folgen, vor allem Mazedonien, ist das okay?

Hahn: Das ist ein Grundproblem der Politik. Reagiert wird immer nur, wenn's brennt. Aber um für die Zukunft gewisse Probleme zu antizipieren, muss man doch sagen, das Migrationsproblem ist nicht eines, das man isoliert lösen kann. Es ist global etwas in Gang gekommen, das auf Europa erhebliche Auswirkungen haben kann.

STANDARD: Warum hat man nicht schon früher Druck auf Griechenland ausgeübt?

Hahn: Ich erlebe nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2010 jetzt zum zweiten Mal, dass es eine Krise gibt, die in dieser Dimension etwas völlig Neues ist. Da muss man manche Dinge einfach ausprobieren, manches funktioniert, anderes nicht. Auch wir haben unsere Fehler gemacht, vielleicht hätten wir früher kritisch aufzeigen müssen, anstatt zu warten. Wir haben der griechischen Regierung lange Zeit Geld als Hilfe angeboten, aber da war sie sehr zurückhaltend.

STANDARD: Wie kommt man weiter?

Hahn: Es ist interessant, wie die Flüchtlingszahlen zwischen dem Besuch der deutschen Kanzlerin in der Türkei und heute rückläufig sind. Und diesmal war es nicht das Wetter wie im Dezember.

STANDARD: Handelt die türkische Regierung, damit die Flüchtlingszahlen geringer werden, wie es die EU-Staaten wünschen?

Hahn: Ja, sie haben einiges getan. Syrer haben Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Wir haben viel getan, finanzieren den Schulbesuch von mehr als 200.000 syrischen Kindern in der Türkei. Wir haben der Türkei bereits 365 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, unabhängig von den drei Milliarden Euro, die zuletzt zugesagt wurden, um deren Verteilung jetzt verhandelt wird. Und das Schmugglerunwesen muss härter bekämpft werden. Es geht auch mit dem Nato-Einsatz in der Ägäis in die richtige Richtung, das ist ein Vehikel, damit die griechische Marine zum Einsatz kommen kann. So geht es jetzt Zug um Zug.

STANDARD: Was sind die nächsten Schritte mit der Türkei?

Hahn: Wir haben Ankara immer wieder erklärt, dass wir vertrauensbildende Maßnahmen brauchen. Das Geld steht bereit, erste Beträge sind bezahlt. Jetzt muss die Türkei liefern. In der vergangenen Woche waren die höchsten Flüchtlingszahlen bei rund 300 pro Tag. Ich verfolge das täglich, aber so lange wie in den vergangenen sieben Tagen gab es so nie drige Zahlen nicht.

STANDARD: Reicht das für den Deal?

Hahn: Woran wir arbeiten, ist der Aktionsplan, der läuft schon. Das Verhältnis EU/Türkei war in der Vergangenheit nicht friktionsfrei. Die Flüchtlingskrise hat dazu geführt, dass wir auf breiter Basis versucht haben, das Verhältnis zu Ankara neu aufzusetzen. Das umfasst eine Reihe von Maßnahmen, von der Visaliberalisierung bis zu den Beitrittsverhandlungen. Aber wie immer, wenn Porzellan zerschlagen wurde, kann man das nicht von heute auf morgen kitten.

STANDARD: Aus türkischen Verhandlerkreisen hört man, es könnte im März eine Zypernlösung geben. Stimmt das?

Hahn: Ich weiß, dass die Türken und die Zyprioten eigenständig und sehr gut miteinander verhandeln. Wir sind alle hoffnungsfroh, dass die im Frühjahr zu einer Einigung kommen, dann ein Referendum abhalten, und wir tatsächlich eine Wiedervereinigung von Zypern zustande bringen. Die Chemie zwischen den beiden Präsidenten stimmt. Die Tatsache, dass man sie in Ruhe verhandeln lässt, würde ich als positives Anzeichen werten.

STANDARD: Kann es mit der Türkei im Frühjahr eine positive Wende geben, trotz der EU-Kritik an den Menschenrechten, der kritischen Lage in Syrien und mit den Kurden?

Hahn: Ich habe immer gesagt, dass wir in der Flüchtlingsfrage ein besonderes Interesse an der Türkei haben. Umgekehrt hat die Türkei ein erhebliches Interesse, in gutem Verhältnis zu Europa zu stehen. Man muss nur die geostrategische Lage vor Augen haben. Europa ist oftmals schwerfällig, aber damit sind wir auch stabil und berechenbar. Und die Öffnung der Beitrittskapitel 23 und 24, die ich sehr befürworte, ist ein Weg, Reformen gerade im Menschenrechtsbereich anzustoßen.

STANDARD: Kann der Syrien-Konflikt diese Annäherung wieder zusammenhauen?

Hahn: Wenn ich weiß, dass die Region extrem fragil ist, muss ich mir als türkischer Präsident oder Premierminister überlegen, ob man es sich leisten kann, rund um das Land nur Probleme zu haben. Das gilt für uns gleichermaßen. Die türkische Führung hat ein hohes Interesse an Stabilität. Also macht es aus ihrer Warte Sinn, mit uns auf ein stabiles korrektes Niveau der Zusammenarbeit zu kommen. (Thomas Mayer, 18.2.2016)