Wien – "Die Jugend hat das Privileg des Blödseins", sagt Wolfgang Blaschitz, der Verteidiger von Nagaad A., die vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Andreas Hautz ist, da sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung, konkret des "Islamischen Staats", sein soll.

Eine Anklage, die langsam zum Alltag am Wiener Straflandesgericht wird, die in diesem Fall aber einige ungewöhnliche Facetten aufweist. Erstens die unterschiedliche Rechtslage zwischen Österreich und Schweden. Dort wurde die 17-Jährige als Kind von Eltern aus Ostafrika geboren. Und dort, in Schweden, ist der Plan, in das vom IS kontrollierte Gebiet auszureisen, nicht strafbar.

Genau das wollte A. laut Anklage tun, als sie sich am 2. Dezember in Schweden auf den Weg Richtung Süden machte. Über Kopenhagen, Hamburg und Berlin kam sie nach Wien, wo sie am 5. Dezember am Westbahnhof festgenommen wurde.

Eltern befürchteten Anschlag

Auf ihre Spur war die Polizei von den Eltern der Teenagerin gebracht worden. Die machten sich Sorgen, da sie einfach ausgerissen war. Als sie mittels eines Computerprogramms entdeckten, dass zumindest ihr Handy in Wien war, verständigten sie die Exekutive und äußerten die Befürchtung, dass die Tochter möglicherweise einen Anschlag plane.

Tatsächlich sagte die junge Frau, als sie die Beamten in einem Schnellrestaurant entdeckt hatten, unaufgefordert "I have no bomb". Pass hatte sie keinen dabei, auch die umgerechnet 170 Euro Bargeld waren kein Vermögen.

Dass auf ihrem Handy dann Chats mit recht eindeutigem Inhalt und hundert Fotos, die IS-Gräuel dokumentieren, gefunden wurden, brachte sie in Untersuchungshaft. Dass auch diverse Anleitungen für Reisen in das IS-Gebiet und Anleitungen zum Bombenbau gefunden wurden, machte sie nicht unverdächtiger.

Angeklagte leugnet

Die schüchtern wirkende Angeklagte bekennt sich nicht schuldig. "Was wollten Sie in Wien machen?", fragt Hautz. "Ich wollte drei andere Mädchen treffen", hört er als Antwort. Die korrigiert wird: "Ich wollte eigentlich schon nach Hause fahren."

"Mit wem hatten Sie vorher Kontakt?", fragt der Vorsitzende weiter. "Ich hatte mit niemandem Kontakt." – "Und wen wollten Sie dann treffen?" – "Die drei Mädchen, die kannte ich aus sozialen Medien." – "Und was hätten Sie mit denen in Wien machen wollen?", wird weitergebohrt. "Ich weiß es nicht."

Hautz entscheidet sich offenbar aus zeitökonomischen Gründen, A. darauf aufmerksam zu machen, dass sie als Angeklagte auch das Recht habe, gar nichts zu sagen. A. nimmt das Angebot dankbar an.

Zeugen gibt es keine, also besteht das Beweisverfahren daraus, dass der Vorsitzende die Akten verliest.

Kaschmir, Paris und New York

In denen zum Beispiel die Chat-Protokolle mit diversen Unbekannten sind. Wobei man sagen muss, dass diese ein recht breites Spektrum abdecken. Es geht um den Jihad in Kaschmir, die Genugtuung über die Anschläge von Paris und 9/11 – einen "großen Sieg" für den Islam.

Gleichzeitig finden sich auch Diskussionen mit muslimischen Gegnern des IS, die zeigen, dass die Argumentationslinie von A. mitunter widersprüchlich ist. Für den Verteidiger ist auch wesentlich, dass die junge Frau bereits im August ankündigt, nach Syrien oder in den Irak zu wollen, dann aber erst im Dezember aufbricht.

Der August könnte auch einen Hinweis auf den Hintergrund der Aktion liefern, wie sich ebenso aus dem Akt ergibt. Im Vorjahr ließen sich A.s Eltern scheiden, der Vater heiratete erneut, Stief- und leibliche Mutter hatten kein gutes Verhältnis.

In psychiatrischer Behandlung

Die Angeklagte fühlte sich in ihrer Schule ausgeschlossen, hatte den Großteil der Sozialkontakte im Internet und kam im August an eine neue Schule – wo sie dennoch keinen Anschuss fand. Sie selbst vermutet mittlerweile, schon länger an Depressionen zu leiden, und ist seit dem 7. Dezember in Wien in stationärer Behandlung.

Für den Verteidiger steht am Ende daher fest, dass seine Mandantin eine unreife Orientierungslose ist, die lediglich mit dem IS sympathisiere und darüber diskutiere. Beweise, dass sie tatsächlich nach Syrien wollte, gebe es nicht.

Der Senat sieht das anders und verurteilt die junge Unbescholtene nicht rechtskräftig zu einem Jahr Haft, davon ist ein Monat unbedingt. Da A. das bereits in der Untersuchungshaft verbüßt hat, können ihre Eltern sie mit nach Hause nehmen.

In seiner Begründung erlaubt sich Hautz zunächst die Spitze Richtung Norden, dass er verwundert sei, dass das Delikt in Schweden noch nicht strafbar sei, obwohl der UN-Sicherheitsrat einen entsprechenden Beschluss bereits im September 2014 fasste.

Moralische Unterstützung des IS verhindern

Er gesteht der Angeklagten auch zu, dass sie eine "pubertär verwirrte Sympathisantin" des IS sei, dennoch müsse verhindert werden, dass Menschen in das Gebiet fahren und die Kämpfer – wenn auch nur durch moralischen Rückhalt – unterstützen.

Das Argument des fehlenden Reisepasses wischt Hautz mit dem Hinweis auf die Möglichkeit illegaler Einreisen beiseite. Die geringen Barmittel kommentiert aber selbst er mit: "Sie wären nicht mehr recht weit gekommen."

Er gibt sich aber auch keinen Illusionen hin: "Wir wissen, dass der eine Monat unbedingt Kosmetik ist, wenn Sie schon zwei Monate in U-Haft waren." Aber: Wenn A. weiter von der Ideologie überzeugt wäre, würden sie auch weitere zwei Monate in Haft nichts ändern. Daher sei es wichtiger, dass sie nach Hause zurückkehren könne. Das wird passieren – ihre Eltern haben den Pass ihrer Tochter dabei. (Michael Möseneder, 18.2.2016)