Die Fearleaders tragen Bärte, die meisten von ihnen jedenfalls.

Foto: Standard/Christian Fischer

Wien – Das ist das Ende. Verbeugung hierhin, Verbeugung dorthin. Die Fearleaders zeigen ihre Kehrseiten, die in viel zu engen Hosen stecken, Hotpants wäre fast eine Untertreibung. Stehende Ovationen, johlendes Publikum. Das definierte Kehrseitenzeigen ist beabsichtigt, die Choreografie quasi abgestimmt auf die Gegebenheiten in der Sporthalle Liesing, Perchtoldsdorfer Straße 1. Zwei der Fearleaders – sie heißen Andi und Andi, hören aber in diesem Kontext und in diesem Kostüm auch auf "Candy und Candy" – werden später erzählen, dass sie die Hosen extra um eine Nummer zu klein bestellt haben. "Damit sie richtig gut sitzen."

Die Sporthalle Liesing ist die Heimstätte der Fearleaders, hier hat alles begonnen, hier setzt sich alles fort. Es gibt nur auf einer Seite eine kleine Tribüne, gut 200 Zuseher finden Platz. Beim ersten "Homebout" von Vienna Roller Derby in diesem Jahr ist die Halle respektive die Tribüne viel zu klein, die Tickets waren binnen weniger Stunden ausverkauft. Letztlich gab’s einen 197:155-Sieg gegen Barcelona, dem eine, wie man hört, gar zünftige Party folgte. Die Fearleaders mittendrin, beim Heimsieg, bei der Party. Die Fearleaders sind die Cheerleader von Vienna Roller Derby. Männliche Cheerleader.

Die Fearleaders heizen der Menge bei Spielen von Vienna Roller Derby ein.
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Frauen im harten Vollkontaktsport, Männer mit Pompons und in Pose. Ansonsten wird ja nicht selten ein anderes Bild transportiert, in der Werbung zum Beispiel und natürlich auch im US-amerikanischen Sport. "Leichtbekleidete Frauen feuern starke Männer auf dem Spielfeld und ein biertrinkendes Publikum an", sagt einer der beiden Candy-Andis. "Wir konterkarieren das, überzeichnen das, spielen bewusst mit dieser Übersexualisierung." Allzu ernst nehmen die Fearleaders sich und ihre Auftritte in der Bout-Pause nicht. "Es geht um den Spaß", sagt Candy-Andi Nummer zwei, "und um die Show."

Vor und nach der Pause geht’s zur Sache. Beim Roller Derby treten zwei Teams von Rollschuhläuferinnen gegeneinander an. Auf der Bahn sind je vier Blockerinnen und eine Jammerin gleichzeitig unterwegs. Die Jammerin soll Gegnerinnen überrunden, die Blockerinnen helfen ihr, stellen sich aber auch der gegnerischen Jammerin entgegen. Da wird auf Teufel komm raus gelaufen, gerempelt, gestoßen, gestürzt.

Ein Spiel bzw. "Bout" dauert zweimal 30 Minuten, wobei jede Halbzeit in maximal zweiminütige "Jams" aufgeteilt ist. Zwischen den Jams werden die Spielerinnen ausgetauscht.
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Der Sport stammt aus den USA und aus den 1930ern, er wurde von Männern betrieben, ehe ihn die Frauen für sich entdeckten. In den Siebzigern verschwand Roller Derby in der Versenkung, um die Jahrtausendwende feierte es eine Renaissance – als subkulturell-feministische Bewegung. Vor zehn Jahren gründeten sich die ersten Frauschaften in Europa, mittlerweile gibt es 200 Teams. Vienna Roller Derby, 2011 gegründet, liegt im Mittelfeld der europäischen Rangliste.

Es wird gegen den Uhrzeigersinn und gegen Konventionen gelaufen. Queer ist, kurz zusammengefasst, kein Fremdwort im Roller Derby. Die Spielerinnen tragen eigene Roller-Derby-Namen wie WarGina, Bitch Buchannon, Italian Stallion, November Pain oder Victoria Siempre, Tätowierungen tragen sie auch.

"Es geht um den Spaß", sagt Candy-Andi, "und um die Show." Mehr Fotos in einer Ansichtssache.
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Die Fearleaders tragen Bärte, die meisten jedenfalls. Von den Candy-Andis ist einer bärtig und einer bartlos. Viele Fearleaders waren bei Vienna Roller Derby von Anfang an dabei, als Freunde und Fans. Vor drei Jahren kam’s zum ersten Auftritt, quasi noch in Zivil. Ein echter Ruck ging durch die Truppe, als die Outfits geliefert wurden – Hotpants, Shirts, Hosenträger, Schweißbänder, Stirnbänder und natürlich Pompons, alles in den VRD-Farben Türkis und Orange. "Die Outfits haben uns verwandelt", sagt der bartlose Candy-Andi. Der bärtige ergänzt: "Da haben wir begonnen, uns richtig reinzuknien."

Reinknien meint Videos studieren, Musik hören, Choreografieren, filmen, schneiden, trainieren. Die Truppe der Fearleaders ist mittlerweile 18 Mann stark, sie hat ein Repertoire von einem halben Dutzend Choreografien. Fünf bis zehn Trainings sind notwendig, bis eine siebenminütige Einlage sitzt. Ideen holen sich die Fearleaders etwa von alten Jane-Fonda-Aerobic-Videos, aber auch "vom neuesten Scheiß auf Youtube". Kombiniert mit der berühmten Hebefigur aus "Dirty Dancing" und einer, nun ja, berührenden Sequenz zum von Jane Birkin gehauchten "Je t’aime" ergibt das aktuell eine bemerkenswerte Mischung. "Wir zitieren viel", sagen die Andis, "haben aber auch unsere eigenen Ideen."

Pompons und Perspektive

Die Fearleaders tanzen, springen, bauen eine Pyramide, schlagen Saltos. In der zweiten Hälfte des Bouts gegen Barcelona stehen sie am Spielfeldrand. Als der Sieg unter Dach und Fach ist, fliegen orange und türkise Pompons in die Luft. Die Performance insgesamt hat durchaus sportlichen Wert. Der eine oder andere Turner ist dabei, ein Sportlehrer, ein Fotograf, ein Grafiker, etliche Musiker, ein Arzt. Alles Kompetenzen, die die Fearleaders ("Wir sind ein Do-it-yourself-Verein") gut brauchen können, allein der Arzt musste bis dato nicht eingreifen, es hat noch keinen Unfall gegeben.

Ab und zu lassen die Fearleaders Liesing hinter sich. Im Impulstanz-Rahmen schmückten sie eine Party, im Vorjahr gastierten sie in Paris und London, im April geht’s zum Festival nach Lille. Sieben bis zehn Auftritte jährlich gehen sich aus.

Die Videos der Fearleaders sind auf Youtube fast schon Klickgranaten, ihre Facebook-Seite hat mehr als 3500 Fans, von denen immerhin hundert in den USA daheim sind. Kultfaktor und eine Auflage von tausend Stück erreichte der schon zum dritten Mal produzierte Kalender mit Fearleaders-Fotos – er wird sogar aus Japan geordert. Ein Kalender kostet 15 Euro, der Erlös finanziert einen Teil der Reisekosten Die Fearleaders strahlen keinen unbändigen Ehrgeiz aus, sie betonen auch, es sei "keine Intention, wirklich groß zu werden". Doch vielleicht werden sie es gerade deshalb. Das ist erst der Anfang. (Fritz Neumann, 22. 2. 2016)