Spurensuche nach dem Autobombenanschlag im Regierungsviertel von Ankara. 27 Soldaten und eine Reporterin starben, mehr als 60 Menschen wurden verletzt. Syriens Kurden sollen dahinterstecken.

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Ahmet Davutoğlu weiß es am Vormittag und die Regierungspresse schon in der Nacht zuvor: Ein Kurde aus Syrien war es, ein Mitglied der dortigen Kurdenmiliz YPG. Saleh Najar soll sein Name gewesen sein, 23 oder 24 Jahre alt und aus dem nordsyrischen Städtchen Amude. Er sprengte sich mit einem Auto in die Luft, als fünf Kleinbusse der Armee vorbeifahren, die Soldaten aus dem Regierungsviertel in Ankara nach Dienstschluss am Mittwochabend nach Hause bringen. So sagt es der Premier. "Die Rechnung für diesen Angriff werden wir bezahlen lassen", droht Davutoğlu. Wann und wie, behalte sich die Türkei vor.

Weiße Planen hängen an der Straßenkreuzung, wo die Merasin-Straße in den Inönü-Boulevard mündet. Noch untersuchen Polizeibeamte den Anschlagsort. Das türkische Parlament ist ganz in der Nähe, das Finanzministerium und Kommandostellen der türkischen Armee. 27 Soldaten und eine Zivilistin, die junge Reporterin eines kleinen Fernsehsenders, sterben bei dem Terroranschlag. Es ist der zweite in der türkischen Hauptstadt innerhalb von vier Monaten.

Assads "Bauernfigur"

Dieses Mal aber geht es um Geopolitik, um Krieg und Frieden und den Einmarsch der Türkei in Syrien. Wie die Teile eines Puzzles fällt nun alles zusammen zu einem klaren Bild, so wird die politische Führung in Ankara nicht müde zu betonen. Der Selbstmordanschlag beweist, welche Gefahr von den syrischen Kurden ausgehe, den sogenannten Volksverteidigungseinheiten (YPG), die nur eine Bauernfigur des syrischen Regimes seien, ein "piyon", wie Davutoğlu sagt.

Und der politische Arm der YPG, die Demokratische Unionspartei (PYD), die sich nun anschickt, ein 500 Kilometer langes autonomes Kurdengebiet an der Grenze zur Türkei zu errichten, sei ein und dasselbe wie die Untergrundarmee PKK – eine Terrororganisation. Noch am Donnerstag ruft die Türkei den UN-Sicherheitsrat an. Sie will Informationen über die syrische Kurdenmiliz vorlegen. Das Schachbrett der syrischen Kriegsparteien soll neu geordnet werden, notfalls mit Gewalt. PYD-Chef Salih Müslim weist zurück, dass seine Partei hinter dem Anschlag stecke.

Appell an Verbündete

Nach dem Premier tritt im Präsidentenpalast in Ankara der Hausherr selbst vor die Presse. Flankiert von Armeechef Hulusi Akra, Innenminister Efkan Ala und Verteidigungsminister Ismet Yilmaz nimmt auch Tayyip Erdoğan die Nato-Verbündeten wegen der syrischen Kurden in die Pflicht. Erdoğan spricht langsam und getragen. 14 Verdächtige seien im Zusammenhang mit dem Anschlag bisher gefasst worden, es werden wohl noch mehr werden, sagt der Staatspräsident: "Unsere Freunde in der internationalen Gemeinschaft werden nun besser verstehen, wie eng die Verbindungen von PYD und YPG mit der PKK sind."

Seit vergangenem Samstag feuert die türkische Armee bereits auf syrisches Territorium und versucht, den Vormarsch der Kurden zu verhindern. Bewaffnet von den Amerikanern, unterstützt durch die Luftangriffe der Russen, nutzt die YPG die Gunst der Stunde und will die letzte Lücke schließen, die ihr selbstverwaltetes Gebiet noch trennt – ein knapp 90 Kilometer langer Korridor an der türkisch-syrischen Grenze, der bisher in der Hand islamistischer Rebellen war, hauptsächlich der Al-Nusra-Brigaden und der von der Türkei unterstützten Ahrar al-Sham. Der Artilleriebeschuss von Stellungen der YPG werde fortgesetzt, erklärt Regierungschef Davutoğlu am Donnerstag.

Über die Grenze geschleust

Mehrere hundert Rebellen, bewaffnet mit leichter Artillerie und sogar Panzern, sollen in den vergangenen Tagen von der Türkei zur Verstärkung über den Grenzübergang Bab-al-Salam in den umkämpften Korridor geschleust worden sein. 500 Bewaffnete waren es allein am Mittwoch nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Ankara soll die Rebellen nachts aus der nordsyrischen Provinz Idlib über türkisches Gebiet zum Übergang Bab-al-Salam gebracht haben.

Die Türkei will verhindern, dass die nächstgelegene syrische Stadt Azaz in die Hände der Kurden fällt und damit der Zugang zu Aleppo, der umkämpften zweitgrößten Stadt des Landes, abgeschnitten ist.

Gestörte Beziehung

Aus Washington kommen Solidaritätsadressen an die türkische Führung. Das State Department, der nationale Sicherheitsrat, Verteidigungsminister Ashton Carter versichern "unserem türkischen Verbündeten" Rückhalt nach dem Anschlag in Ankara. Dabei sind die Beziehungen herzlich schlecht, seit der Streit über die syrischen Kurden zwischen den USA und der Türkei in den vergangenen Tagen öffentlich ausgetragen wurde. Ein militärisches Abenteuer der Türkei in Syrien wollen die Amerikaner aber nun verhindern. Ankara ereilen weitere schlechte Nachrichten: Auf das türkische Kulturzentrum in Stockholm wurde Mittwoch ebenfalls ein Bombenanschlag verübt. (Markus Bernath, 18.2.2016)