"If you want to kill an idea, take it to a meeting" – ein bekanntes Sprichwort aus den USA. Auch Mails fressen zu viel Zeit, kritisieren Wissenschafter.

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Die schiere Menge an Mails und Meetings habe viele andere Formen individueller Arbeit verdrängt, sagt Managementprofessor Peter Gray. Viele Angestellten nehmen die Arbeit mit nach Hause oder verbringen nachts Stunden mit der Beantwortung von Mails, bevor sie zur eigentlichen Arbeit kommen. Das sei ein Problem.

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Tom Cochran, ehemaliger Chief Technology Officer bei der Verlagsgruppe Atlantic Media, hat errechnet, dass der Mailverkehr eines mittelständischen Unternehmens im Jahr bis zu eine Million Dollar kostet. Was kostet eine Mail? Laut Cochran: 95 Dollar-Cent, ausgehend von über 1000 Mails pro Woche, einer Bearbeitungszeit von eineinhalb Minuten und durchschnittlich 32 Wörtern pro Mail.

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Der Start in den Arbeitstag beginnt mit einem Blick ins E-Mail-Postfach: Hunderte Nachrichten sind übers Wochenende aufgelaufen, die der Antwort harren. Kunden und Kollegen bitten um Rückruf, der Chef hat am Nachmittag eine Konferenz einberufen. Bis man die Anfragen bearbeitet hat, ist der Vormittag meist rum, und im Meeting kommt man auch zu nichts.

85 Prozent der Zeit im Meeting

Mails und Meetings sind veritable Zeitfresser. Die Ökonomen Rob Cross und Peter Gray von der University of Virginia haben herausgefunden, dass sogenannte Wissensarbeiter – Berater, Wissenschafter, IT-Spezialisten – 70 bis 85 Prozent ihrer Zeit mit Meetings (virtuell oder face to face), der Beantwortung von Mails oder Telefonaten verbringen. Einige Angestellte interagieren so häufig, dass sie die eigentliche Arbeit mit nach Hause nehmen und nachts bewältigen müssen. Die Zeitschrift Harvard Business Review (HBR) räumte der Problematik in der jüngsten Ausgabe eine ganze Titelgeschichte ein.

Tom Cochran, ehemaliger Chief Technology Officer bei der Verlagsgruppe Atlantic Media, hat für einen Artikel in HBR ("E-mail is not free") errechnet, dass der Mailverkehr eines mittelständischen Unternehmens im Jahr bis zu eine Million Dollar kostet. Ausgehend von über 1000 Mails pro Woche, einer Bearbeitungszeit von eineinhalb Minuten und durchschnittlich 32 Wörtern pro Mail, beziffert Cochran die Arbeitskosten für eine Mail auf 95 Dollar-Cent. Bedenkt man, dass ein Angestellter pro Tag 100 Mails bearbeitet, gehen allein dafür 95 US-Dollar drauf. Die vermeintlich freie und friktionslose Kommunikation, resümiert Cochran, produziere "soft costs", die der Nutzung eines Learjets gleichkommen.

Aufmerksamkeit nimmt ab

E-Mails, Meetings und Telefongespräche sind nicht per se unproduktiv. Sie dienen dazu, Produktionsprozesse aufeinander abzustimmen und Arbeitsschritte zu verzahnen. Doch mit den flacher werdenden Hierarchien in Unternehmen hat sich der Kommunikationsbedarf derart erhöht, dass die eigentliche Arbeit oftmals zu kurz kommt. "Die schiere Menge an Mails und Meetings hat viele andere Formen individueller Arbeit verdrängt", sagt Managementprofessor Peter Gray. "In der Folge nehmen die Angestellten die Arbeit mit nach Hause oder verbringen nachts Stunden mit der Beantwortung von Mails, bevor sie zur eigentlichen Arbeit kommen. Das ist ein Problem."

Mit Mails und Meetings ist es oft nicht getan. Hinzu kommen Apps wie Slack, eine Art Chatroom fürs Büro, bei dem sich die Teammitglieder auf eigenen Kanälen austauschen. Ganz zu schweigen von privaten Facebook-Nachrichten, die schwerlich quantifiziert werden können. Überall blinkt und fiept es, die Aufmerksamkeitsspannen werden immer kürzer.

Folge: Stress steigt

Die Informatikprofessorin Gloria Mark von der University of California hat in einer Studie herausgefunden, dass selbst kleinste Unterbrechungen bei der Arbeit die Projektdauer signifikant erhöhen. Bis sich die Angestellten wieder orientiert und auf ihre Aufgabe fokussiert haben, vergehen im Durchschnitt 23 Minuten. Die Beschäftigten erhöhen daraufhin das Arbeitstempo, um die verlorengegangene Zeit zu kompensieren. Die Folge: mehr Stress am Arbeitsplatz – gerade dann, wenn die Deadline naht. "Unsere Studie zeigt, dass, je länger die Bearbeitungszeit für Mails ist, desto höher der Stress und desto geringer die Produktivität am Ende des Tages war", sagt Mark auf Anfrage. Die Informatikprofessorin fordert, dass wir weniger Zeit mit Mails und Meetings verbringen.

Arbeit oder Meeting – nicht beides

Der Managementguru Peter Drucker sagte einst, man könnte wirkliche Arbeit verrichten oder zu Meetings gehen, aber nicht beides gleichzeitig tun. Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen schaltet das Internet beim Schreiben grundsätzlich ab. Ins stille Kämmerlein können sich die wenigsten Beschäftigten zurückziehen, doch Managementexperten wie Peter Gray fordern breitere Handlungskorridore und Freiheiten für Angestellte. "Der idealtypische Manager sagt: Wenn nichts auf der Agenda steht, das Sie direkt betrifft, kommen Sie nicht zum Meeting. Ich will lieber, dass Sie zwei Stunden Ihre Arbeit fertigmachen, als zwei Stunden herumzusitzen."

Die neueste Version der Business-Software Basecamp bietet einen "snooze button", eine Funktion, mit der Mitarbeiter Nachrichten drei Stunden aufschieben können. Danach prasselt zwar eine Nachrichtenflut herein, doch dafür können die Angestellten eine Zeitlang konzentriert und fokussiert arbeiten. (Adrian Lobe, 22.2.2016)