Manche Berichte zum Absturz der Maschine diskreditierten psychisch kranke Menschen sogar als "Irre" oder "Verrückte".

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Wurden psychisch kranke Menschen in der Berichterstattung zum Absturz der Germanwings-Maschine im Vorjahr stigmatisiert? Mit dieser Frage haben sich Forscher der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim beschäftigt.

Unter dem Titel "Mediale Stigmatisierung psychisch Kranker im Zuge der 'Germanwings'-Katastrophe" gingen die Autoren Steffen Conrad von Heydendorff und Harald Dreßing insbesondere der Frage nach, welche Rolle eine mögliche psychische Erkrankung des Copiloten als medialer Erklärungsansatz für den Absturz gespielt hat.

Für ihre Studie untersuchten die Autoren retrospektiv insgesamt 251 Texte aus zwölf verschiedenen überregionalen deutschen Printmedien ("Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Frankfurter Rundschau", "Süddeutsche Zeitung", "Die Welt", "Handelsblatt", "Der Tagesspiegel", "BILD-Zeitung" "die tageszeitung", "Die Zeit", "Der Spiegel", "Focus" und "Stern"), die sich im Zeitraum vom 24.3.2015 bis zum 30.6.2015 mit der Frage nach der Absturzursache beschäftigt haben.

Dramatisierungen und Wertungen

Sie orientierten sich dabei an der empirisch-deskriptiven Ausrichtung von Studien, die vergleichbare Fragestellungen untersucht haben und entwickelten hierfür die Rubriken "riskante Berichterstattung" und "explizite Stigmatisierung". Unter "expliziter Stigmatisierung" verstehen die Autoren, "dass eine Stigmatisierung in einem Text offensichtlich erkennbar und für den Leser somit eindeutig identifizierbar ist".

So untersuchten sie beispielsweise, ob sich in den Texten Hinweise auf "Dramatisierungen" oder "Wertungen" finden, die psychisch kranke Menschen zum Beispiel als "Irre" oder "Verrückte" diskreditieren. Ein zweites Augenmerk der Untersuchung lag auf der Analyse, ob es durch eine kausale Verknüpfung zwischen psychischer Krankheit und krimineller Tat (dem mutwillig herbeigeführten Absturz) – ohne begleitende wissenschaftliche Betrachtungsweise – zu einer "riskanten Berichterstattung" gekommen ist.

Die Autoren stellen die These auf, dass neben der für den Leser offensichtlichen, "expliziten Stigmatisierung" vor allem durch die medial häufig hergestellte Kausalität von psychischer Erkrankung und krimineller Tat die Gefahr einer Stigmatisierung psychisch Erkrankter bestehe, so dass der öffentliche Eindruck entstehen könne, dass psychisch Kranke grundsätzlich gefährlich und kriminell seien.

Differenzierung fehlt

Die Ergebnisse der Textauswertungen zeigen im Segment "riskante Berichterstattung" eindrücklich, dass in den ausgewerteten Printmedien eine psychische Erkrankung des Copiloten als mehrheitliche Erklärung (in 64,1 Prozent aller Texte) für den Absturz der Maschine herangezogen wird, ohne dass auf die wissenschaftlich differenziert zu betrachtenden Zusammenhänge zwischen psychischer Erkrankung und Kriminalität eingegangen wird. In knapp 40 Prozent aller Texte wurde sogar die konkrete Diagnose "Depression" als wahrscheinlicher Absturzgrund genannt.

Merkmale einer "Expliziten Stigmatisierung" haben die Autoren in insgesamt 79 Texten (31,5 Prozent) gefunden. Hierbei war die Kategorie "Metaphorische Sprache/Dramatisierungen" (23,5 Prozent) führend. Durch die deutliche mediale Fokussierung auf eine psychische Erkrankung des Kopiloten als Absturzursache ist es nach Einschätzung von Conrad von Heydendorff und Dreßing zu einer "riskanten Berichterstattung" gekommen, die Stigmatisierungseffekte für psychisch Erkrankte haben kann.

Die Autoren raten, sich bei der Recherche und dem Verfassen von Texten an den Empfehlungen verschiedener Institutionen, unter anderem der Weltgesundheitsorganisation, bezüglich der Berichterstattung über psychische Erkrankungen zu orientieren. Insbesondere sollte auf dramatisierende und wertende Sprache verzichtet werden. Solange die Faktenlage unklar ist, wäre eine mediale Zurückhaltung wünschenswert. Außerdem wäre es notwendig, in umfangreicherem Maße als bisher, begleitend über Genese, Charakteristik und Behandlungsmöglichkeiten psychiatrischer Krankheiten zu berichten.

Medien müssen einerseits rasch und gründlich Informationen beistellen, dabei aber nicht skandalisierend oder stigmatisierend berichten, so die Autoren. Es brauche daher einen stärkeren Dialog zwischen Medien und dem Fach Psychiatrie. (idw, red, 19.2.2016)