Pegida-Versammlung in Deutschland. "Männerfragen werden häufig von sehr weit rechts stehenden Männerrechts- und Väterrechtsgruppierungen diskutiert", sagt der Psychotherapeut Erich Lehner.

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Selten waren sexuelle Gewalt gegen Frauen und der Schutz davor thematisch so präsent wie in den vergangenen Wochen. Auch wenn der soziale Nahraum – wie Statistiken seit langem belegen – der gefährlichere Ort für Frauen ist, steht seit den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln die Sicherheit im öffentlichen Raum im Zentrum. Unter Berichte über tatsächlich erfolgte Straftaten mischen sich dabei zunehmend Gerüchte und Falschmeldungen, die sich vor allem auf Facebook rasant verbreiten. Die mutmaßlichen Täter sind meist junge Männer, Asylwerber – und scheinbar besonders gewaltbereit. Johanna Sigl, Wissenschafterin an der Universität Marburg und Teil des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus, beschreibt diese Dynamik als "raumgreifend und bedrohlich".

Längst beschränke sie sich nicht mehr auf rechte und rechtsextreme Kreise, sondern sei im Mainstream angekommen. "Das Bedrohliche, das in diesem Fall die Frauenverachtung ist, wird an den 'fremden Mann' delegiert. Das ist auch ein Schutzmechanismus, um sich nicht mit dem Sexismus in den eigenen Reihen auseinandersetzen zu müssen", sagt Sigl. Die rassistischen Feinbilder, die hier konstruiert werden – etwa der schwarze, triebhafte Mann –, haben in Europa eine lange Geschichte. Während die Frauenbewegung in den vergangenen Jahrzehnten das "Schicksal Biologie" dekonstruierte und die soziale und kulturelle Verfasstheit des Frauseins offenlegte, wird Männlichkeit oft noch ganz selbstverständlich mithilfe von Genen und Hormonen erklärt. "Junge Männer: Die gefährlichste Spezies der Welt" titelte der "Spiegel" 2008 und fragte: "Ist die Gewaltbereitschaft junger Männer auch angeboren?"

Profeministische Gegenstimme

Männliche Rollenbilder stehen hierzulande kaum zur Debatte, etwa die Frage, wie gewaltfreie Männlichkeiten gelebt werden können, deren identitätsstiftendes Moment sich nicht aus der Abwertung von Frauen und Männern, die dem Männlichkeitsideal nicht entsprechen, speist. Auch schon vor der aktuellen Anrufung männlicher Beschützer, die sich in Bürgerwehren formieren, besetzten überwiegend AntifeministInnen männliche Geschlechterfragen. "Gerade bei der Obsorge-Diskussion war erlebbar, dass Männerfragen häufig von sehr weit rechts stehenden Männerrechts- und Väterrechtsgruppierungen diskutiert wurden. Damit entstand der Eindruck, diese Gruppen würden für alle Männer sprechen beziehungsweise die einzigen Ansprechpartner sein", sagt Erich Lehner, der als Psychotherapeut arbeitet und sich seit fast 30 Jahren mit profeministischer Männlichkeitsforschung beschäftigt.

Die beschriebene Lücke im Diskurs soll nun gefüllt werden: Zu Beginn des Jahres gründete sich der Dachverband Männerarbeit Österreich, zu dem sich Männerberatungsstellen, die katholische Männerbewegung und einige weitere Institutionen zusammengeschlossen haben. Man wolle ein Kooperationspartner für Frauenvereine und eine "reflektierte, an Geschlechtergerechtigkeit orientierte Stimme für Anliegen von Männern" sein, so Lehner, der dem Vorstand des Dachverbands angehört. Während aktuell das Thema Gewalt im Zentrum öffentlicher Debatten steht, setzt sich der Männerforscher insbesondere mit "Care Masculinity" auseinander. Eine der größten Herausforderungen sei es, die Arbeitswelt und das Bildungssystem strukturell so zu verändern, dass Männer endlich ihre Care-Aufgaben übernehmen beziehungsweise übernehmen können, meint Lehner.

Gewaltprävention und Täterarbeit

Auch die österreichischen Vertreter von White Ribbon, einer internationalen Bewegung, die sich gegen Männergewalt in Beziehungen starkmacht, zählen zu den Mitgliedern des Dachverbands. Romeo Bissuti ist Obmann der Kampagne in Österreich. Der Psychologe und Männerberater wundert sich immer wieder darüber, wie wenig Bewusstsein über Sexismus und seine Auswirkungen es nach wie vor gebe – zuletzt etwa bei der Debatte über die Reform des Sexualstrafrechts: "Dass die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bei der Überschreitung von Grenzen durch andere beginnt – was gibt es da überhaupt zu diskutieren?", fragt Bissuti.

Wichtige Orte, an denen Mannsein thematisiert werden könne, seien geschlechtshomogene Gruppen, wie sie die Männerberatungsstellen – in Kooperation mit Frauenberatungsstellen – schaffen. "Vorstellungen von Männlichkeit werden oft nicht reflektiert, es sind gefühlte Privilegien, Körperpraktiken, Mythen, man vergleicht sich, möchte vor anderen Männern nicht als Schwächling dastehen", sagt Bissuti. Gerade deshalb sei es so wichtig, Kritik an Sexismus und dem dominanten Bild von Männlichkeit auch unter Männern anzusprechen.

Die Männerberatungsstellen arbeiten auch mit Gewalttätern. In Österreich kommt es täglich zu über zwanzig Wegweisungen durch die Polizei, nur ein Bruchteil dieser Männer kann derzeit mit Täterarbeit erreicht werden. Die Forderung nach mehr Geldern für die Täterarbeit liegt seit Jahren auf dem Tisch, unterstützt wird sie auch von Frauenorganisationen und Gewaltschutzeinrichtungen. Romeo Bissuti wünscht sich eine verpflichtende Beratung für weggewiesene Männer, den Erfolg von Täterarbeit belegen erfolgte Evaluationen. "Wenn Morde an Frauen durch (Ex-)Partner passieren, sind oft im Vorfeld Wegweisungen passiert – jedoch keine Täterarbeit", weiß Bissuti.

Dass auch Männer massiv von Männergewalt betroffen sind und sie somit von der Präventionsarbeit profitieren – der öffentliche Raum ist für Männer weitaus gefährlicher als für Frauen –, komme bei Männern nur bedingt als Botschaft an. "Diese Gewalt wird von Männern oft mythologisiert, um sich nicht selbst als Opfer begreifen zu müssen. Da ist dann jemand 'in eine Schlägerei geraten' und nicht Opfer einer Gewalttat geworden", sagt der Psychologe.

Dialogbereitschaft und Wertebildung

Ali Kalfa, der sich in einem Jugendzentrum im 15. Bezirk engagiert und als Trainer bei Poika, einem Verein für gendersensible Bubenarbeit tätig ist, setzt mit seiner Arbeit noch früher an. In Workshops für Burschen ab acht Jahren spricht er offen über Themen wie Männlichkeit und Gewalt, aber auch Sexualität und Partnerschaft. Kalfa ist vor drei Jahren mit einem Studentenvisum aus der Türkei nach Österreich gekommen und studiert in Wien Gender Studies.

Er bezeichnet sich selbst als Profeminist und setzt sich für Rechte von LGBTIQs ein. Homophobie erlebt er gerade bei 13- bis 14-jährigen Burschen als Problem, daher sei es besonders wichtig, mit Teenagern in den Dialog zu treten. Auch Religion ist immer wieder Thema: "Manchmal werde ich gefragt: Was, du als Muslim sprichst so? Oft stellt sich heraus, dass diese Burschen dann recht wenig Wissen über ihre eigene Religion haben und ich fordere sie mit Fragen heraus", so Kalfa. Bildungsangebote sind für ihn der Schlüssel für positive Impulse in Richtung Geschlechtergerechtigkeit: "Die Regierung sollte besser in Bildung statt in Zäune investieren."

Der "Dialog auf Augenhöhe" ist auch für Erich Lehner in der Debatte um verstärkte Migration von Männern zentral. Als ehemaliger Lehrer in einer Schule, die Pflegepersonal ausbildet, arbeitete er viele Jahre überwiegend mit Menschen mit Migrationgeschichte. Dabei sei er immer wieder auf "Menschen mit sehr traditionellen, patriarchalen Familienbildern" getroffen, zugleich erlebte er Bereitschaft zur Begegnung und zum Dialog. Dass Werte in einem Schnellkurs vermitteln werden könnten, geht für Lehner "an allem vorbei, was Wertebildung ausmacht". "Werte kann man nicht vermitteln, Werte können allerhöchstens in einem Dialog gebildet werden. Viel wichtiger ist es, Flüchtlinge gut zu betreuen, dabei braucht es im gesamten Betreuungsverlauf Genderkompetenz", sagt Lehner.

Männer wie Erich Lehner oder Ali Kalfa sieht auch Rechtsextremismusforscherin Johanna Sigl als wichtige Verbündete auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und im Kampf gegen Rassismus – gerade in der gegenwärtigen Situation, in der rechte Parteien in ganz Europa Zulauf erleben. "Wenn es zu einer Erstarkung rechter und rechtsextremer Kräfte kommt, geht das zwangsläufig mit einem geschlechterpolitischen Backlash einher", sagt Sigl. (Brigitte Theißl, 21.2.2016)