Elisabeth Wehling ist Linguistin.

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Seit Köln herrscht eine Debatte über "sexualisierte Gewalt" in Zusammenhang mit Flüchtlingen.

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Flüchtlingsströme nehmen wir als Drohszenarien wahr.

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Politiker verwenden Sprachbilder, die unser Denken nachhaltig beeinflussen sollen. In den USA wird das als "politisches Framing" bezeichnet. Im Zuge der Flüchtlingsdebatte hält die Methode Einzug in Europa. Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling über Drohszenarien, subtile Botschaften und den Umgang mit Stereotypen.

STANDARD: In der politischen Debatte kommt man derzeit nicht um das Wort "Flüchtlingsstrom" herum. In unseren Köpfen entstehen Bilder. Welche denn?

Wehling: Flüchtlinge werden als Wassermassen dargestellt, sie werden entmenschlicht: Ihre Hoffnungen und Ängste spielen keine Rolle mehr. Es geht um Wasser als Naturgewalt, um reißende Flüsse, die auf Land treffen. Die Ursache des Flüchtlingsstroms wird dabei völlig ausgeblendet. Außerdem schwingt ein moralisches Szenario mit: Die Flut stellt eine Bedrohung dar. Und die vermeintliche Lösung liegt darin, Dämme zu bauen, die Flut sozusagen zurückzuhalten. Diese Bilder müssen wir nicht bewusst benennen können. Wir schlagen nicht die Zeitung auf und denken: Oh, eine Flüchtlingswelle, was da wieder alles mitgeliefert wird. Vielmehr werden all diese Botschaften subtil transportiert. Sie haben aber Auswirkungen auf unser Verhalten und unser politisches Meinungsbild.

STANDARD: Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Sprachbildern, die in bestimmten Rahmen entstehen, nennt sich "Framing". Sie legen nun ein Standardwerk über politisches Framing für den deutschsprachigen Raum vor. Ob "soziale Hängematte" oder "Modernisierungsverlierer" – Framings sind oft von konservativer Politik geprägt. Beherrschen Konservative die Methode besser?

Wehling: Ihr Eindruck stimmt, viele Debatten werden derzeit von konservativen Frames dominiert. Wir übernehmen viel Sprache aus den USA. Hier arbeiten konservative Thinktanks effektiver mit den Methoden des Framings als progressive. Und die englische Ausdrucksweise nistet sich in europäische Debatten ein. Dass sich konservative Lösungsvorschläge leichter darstellen lassen, hat auch etwas mit der sogenannten direkten Kausalität zu tun. Man geht davon aus, dass jedes Phänomen, das wir in der Gesellschaft beobachten, simple Ursachen hat. Wenn jemand arm ist, dann ist er faul. Oder: Eine Frau schafft es im Beruf nicht auf die Spitzenposition, dann arbeitet sie nicht hart genug. In der progressiven Ideologie hingegen hat alles komplexere Ursachen. Man spricht von "systematischer Kausalität". Das heißt aber nicht, dass progressive Gruppen nicht auch eine einfachere Sprache nutzen könnten. Es kann nur sein, dass es ein bisschen schwieriger ist.

STANDARD: Was wäre ein gelungenes progressives Framing?

Wehling: "Saubere Energie" als Bezeichnung für Energiequellen, die den schmutzigen wie Kohle oder Atom entgegenstehen: also Wind, Sonne oder Wasser.

STANDARD: In der Flüchtlingsdebatte war Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" ein zentrales Framing. War ihr bewusst, was sie damit auslösen wird?

Wehling: Ob ihr das bewusst war, weiß ich nicht. Aus meiner Sicht liegt die Stärke dieses Frames im Wort "wir". Wir schaffen das. Wir machen das gemeinsam. Merkel spricht nicht von sich als politische Führungsfigur, die sagt, ich regle das, ihr könnt euch auf mich verlassen. Sondern sie benutzt einen Frame, der sagt, wir sitzen alle zusammen in diesem Boot. Sie bezieht die Nation mit ein. Dieses Gefühl von Gemeinschaft und Kooperation ist wichtig, wenn man eine Herausforderung wie diese als Gesellschaft bewältigen will. Ich finde, "Wir schaffen das" ist ein gelungenes Framing. Wie dieser Satz dann interpretiert wurde und was er an Debatten ausgelöst hat, etwa, ob Merkel damit die "Flüchtlingsströme" hat anwachsen lassen, ist ein anderes Kapitel.

STANDARD: Manche Begriffe, die zunächst positiv besetzt waren, werden im Laufe der Debatte dann negativ gesehen, zum Beispiel "Willkommenskultur". Am Anfang der Flüchtlingsdebatte war man bemüht, die Leute willkommen zu heißen. Jetzt wird das teilweise als Naivität abgestempelt. Wie kann sich so ein Wandel vollziehen?

Wehling: Das liegt wohl daran, dass "Willkommenskultur" kein guter Frame ist. Er lässt sich negativ umdeuten. Man ruft zum Beispiel die Vorfälle von der Silvesternacht in Köln in Erinnerung, und schnell ist eine Geschichte gebastelt, in der die Willkommenskultur negativ wahrgenommen wird. Der Frame sagt nur darüber etwas aus, wie wir im ersten Moment mit Menschen, die zu uns stoßen, umgehen. Nämlich, dass wir sie willkommen heißen. Der Frame sagt aber nichts darüber, wie Flüchtlinge unsere Gemeinschaft positiv mitgestalten werden. Er sagt nichts darüber, wie wir Flüchtlinge integrieren wollen. Das wird gar nicht angesprochen, der Frame greift zu kurz.

STANDARD: In Österreich haben die Koalitionsparteien über jene Zahl von Flüchtlingen gestritten, die man ins Land "hereinlässt". Die ÖVP hat das Wort "Obergrenze" verwendet, die SPÖ "Richtwert". Beide haben dasselbe gemeint.

Wehling: Ich vermute, dass die linkspolitischen Flügel erahnt haben, was mit dem Wort Obergrenze mitschwingt, und sie es deshalb nicht verwenden wollten. Lassen Sie uns die "Obergrenze" betrachten. Sie suggeriert, Österreich als Nation sei ein Gefäß mit begrenztem Raum. Irgendwann stößt man an die oberste Grenze dessen, was bei uns Platz hat. Man könnte es auch anders herum framen und eine Untergrenze definieren: Was ist das Mindeste, was wir beitragen können? Wie viele Schutzsuchende nehmen wir auf? Gedanklich wäre man bei einer ganz anderen Bringschuld.

STANDARD: Im Wien-Wahlkampf hat die FPÖ mit dem Begriff Grenzzaun "gespielt". Heinz-Christian Strache hat ihn mit einem Gartenzaun verglichen: Um ein Haus herum errichte man auch einen Zaun, um zu verhindern, dass Fremde hereinkommen. Er hat damit eine gewisse Normalität für die Errichtung eines Grenzzaunes vermittelt. Hat er erfolgreich geframt?

Wehling: Ja, sicher. Er hat die abstrakte Idee einer Nation begreifbar gemacht. Wir leben in unserem Haus. Der Zaun darum herum markiert unser Grundstück. Das, was uns gehört, wo wir Fremde nur zu Besuch reinlassen. Diese Dinge werden gedanklich auf die Nation übertragen.

STANDARD: Er war insofern erfolgreich, als es mittlerweile einen Grenzzaun gibt. Bundeskanzler Werner Faymann hat sich anfangs öffentlich geweigert zu sagen, dass das ein Zaun ist. Er meinte, es sei ein "Türl mit Seitenteilen". Sie schreiben in Ihrem Buch, dass man mit Verneinungen und Abwehr erst recht Aufmerksamkeit erzeugt.

Wehling: Wenn Faymann den Frame aufgreift und sich davon distanziert, indem er sagt, das ist kein Zaun, dann tut er sich damit überhaupt keinen Gefallen. Wenn er sagt, das ist ein "Türchen mit was dran", ist das ein absolut unglückliches Framing. Durch die Verneinung aktiviert Faymann erst die Idee, dass das ein Zaun ist. Wann immer Sie einen Frame negieren, aktivieren Sie ihn erst recht. Sie stärken ihn in den Köpfen Ihrer Zuhörer. Das ist ein Mechanismus, der in der Politik vollkommen unterschätzt wird. Viele sehen es ja als Auftrag, gegen andere anzuargumentieren, anstatt für ihre eigenen Ideen Argumente zu finden.

STANDARD: Sie haben Köln angesprochen. Seit der Silvesternacht werden hinter allen Sexualverbrechern Asylwerber vermutet. Ist hier auch schon ein Framing passiert?

Wehling: Natürlich laufen wir Gefahr, wenn wir besonders eindrucksvolle Geschehnisse – etwa Attentate oder Angriffe – benennen, dass Stereotype entstehen. Dass man Dinge als viel gängiger und typischer wahrnimmt, als sie de facto sind. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch nie die Lösung, Realitäten nicht zu benennen. Übrigens, ganz egal, wie man die Angriffe in der Silvesternacht politisch einordnet, sie haben dazu geführt, dass wir wieder eine Debatte über Sexismus und sexuelle Gewalttaten führen. Diese Debatte ist in Deutschland, Österreich und Europa bitter nötig.

STANDARD: Wird die Debatte "richtig" geführt?

Wehling: Nicht immer. Der Begriff "sexualisierte Gewalt" etwa, der seit den Vorfällen der Silvesternacht von Politik und Medien genutzt wird, ist hoch problematisch. Wieso? Weil sich das Wort "sexualisiert" auf die Gewaltausübung bezieht, nicht die Person, die Opfer der Gewaltausübung ist. Etwas zu sexualisieren bedeutet, es in Beziehung zur Sexualität zu stellen. Was wirklich gemeint ist, ist natürlich "sexuelle Gewalt" – nämlich eine Gewaltausübung, welche die Sexualität des Opfers betrifft. Das ist ein ganz anderer Frame, und zwar einer, in dem hervorgehoben wird, auf welche Weise das Opfer angegriffen wird, wo "verletzt" wird. Damit erlangt die Sache eine andere Dringlichkeit. Von "sexualisierter Gewalt" zu sprechen ist nicht nur linguistischer Murks, es verwässert auch den Blick auf die Situation. (Rosa Winkler-Hermaden, 21.2.2016)