Samuel Salzborn, "Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext". € 10,30 / 200 Seiten. Nomos-Verlag Baden-Baden 2015

Cover: Nomos-Verlag

Samuel Salzborn hat eine globale Überblicksgeschichte politischer Ideen geschrieben, die sich postkolonialem Kulturrelativismus und postmoderner Beliebigkeit konsequent verweigert. Der Göttinger Politologe liefert eine kurze, gelungene, in der Darstellung stets Grundgedanken der Dialektik der Aufklärung von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer reflektierende klassische Theoriehistorie. Zum anderen ruft er die blinden Flecken und die regionale Borniertheit der Mainstream-Politikwissenschaft in Erinnerung, gegen die er eine global orientierte und dezidiert wertende Darstellung setzt.

Salzborn versteht seine Arbeit als ein "Plädoyer für einen aufgeklärten Universalismus, der begreift, dass Aufklärung und Emanzipation nicht allein ein westliches Projekt sind", was zugleich bedeute, dass auch die Negation von Aufklärung und Emanzipation im globalen Maßstab in den Blick genommen werden muss.

Neben einer Zusammenfassung zentraler Positionen der politischen Theorie legt er einen Schwerpunkt auf unterschiedliche Ausprägungen des Antikolonialismus und von Varianten antiemanzipatorischen Denkens außerhalb des westlichen Kontexts. Den sunnitischen Wahhabismus analysiert er als eine Form des "reaktionären Konservatismus", wogegen er den Neokonfuzianismus in ostasiatischen Gesellschaften als "bewahrenden Konservatismus" charakterisiert. Antiindividualismus und Opfermythologie nimmt er nicht nur bei europäischen faschistischen Denkern ins Visier, sondern auch beim hinduistischen Agitator Madhav Sadashiv Golwalkar, bei Vordenkern des maoistischen China und in bestimmten Ausprägungen des afrikanischen und lateinamerikanischen Antiimperialismus.

Gegen Kritikverbote

Ausgehend von dem Befund, dass "Rassismus und Antisemitismus auch integraler Bestandteil postkolonialer Gesellschaften sind", formuliert Salzborn scharfe Kritik an postkolonialen Theorien wie jenen von Edward Said und Gayatri Chakravorty Spivak. Saids einflussreichem Werk Orientalism wirft er mit überzeugenden Argumenten vor, "jede noch so inhumane, barbarische und gegenaufklärerische Entwicklung im 'Orient' gegenüber Kritik" zu imprägnieren. Seine Ideen dienten als "Einfallstor für soziale Bewegungen, die unter dem Banner des Antikolonialismus antiuniversalistische und antiaufklärerische Positionen proklamieren". Spivak attestiert Salzborn eine Abwehr von "Kritik an sexistischen Praktiken in postkolonialen Gesellschaften", die letztlich der Argumentation westlicher Rassisten gleiche. Gegen derartige Kritikverbote hält er fest: "Das Problem ist nicht (...), politische Theorien aus anderen als den westlichen Kontexten abzulehnen, das Problem ist, sie zu ignorieren."

Salzborn unterscheidet drei differierende Spielarten des Postkolonialismus: Antirassistische Protagonisten wie Martin Luther King jr. oder Nelson Mandela, die vor dem Hintergrund eines universalistischen Gleichheitspostulats argumentieren, grenzt er von Positionen wie jener des antikolonialen Theoretikers Frantz Fanons ab, die zwischen Universalismus und identitären Positionen schwanken; und insbesondere von einem essenzialistischen, völkischen und rassistischen Antikolonialismus, wie er sich in Reinform beim panafrikanischen Agitator Marcus Garvey findet, der Kontakte zum Ku-Klux-Klan pflegte und seine politischen Vorstellungen selbst als "Faschismus" bezeichnete, den Mussolini dann lediglich "kopiert" habe.

Universaler Antiunversalismus

Salzborns Anspruch besteht darin, zwar "im empirischen Sinn kultursensibel, im normativen Sinn aber universalistisch" zu sein, woraus sich für ihn eine eindeutige Parteilichkeit für jene wie auch immer beschränkten Freiheiten westlicher Gesellschaften ergibt, die jedoch in ihrer Beschränktheit weiter Gegenstand der Kritik sein müssten. Im 21. Jahrhundert benennt er zu Recht die Spielarten sowohl des sunnitischen als auch des schiitischen Islamismus als "aggressivste und brutalste Variante" eines "universalen Antiuniversalismus" und macht die "terroristische Realisierung islamistischer Herrschaftsansprüche" als gegenwärtig größte Bedrohung für Israel aus, dessen Gründung 1948 er nicht nur in seiner weltpolitischen, sondern auch theoriegeschichtlichen Bedeutung diskutiert.

Universalistische Theoriebildung sieht Salzborn spätestens seit den Anschlägen von 9/11 in der Defensive. In vielen Theoriedebatten konstatiert er eine "Flucht ins Partikulare und Triviale postmoderner Beliebigkeiten, die die intellektuelle Unfähigkeit zur konfliktorientierten Auseinandersetzung um Wahrheitsansprüche paradigmatisch von vornherein suspendiert". Das resultiere maßgeblich aus einer Unfähigkeit, auf Antiamerikanismus, Islamismus und Antisemitismus als die "großen antiuniversalistischen Bewegungen des frühen 21. Jahrhunderts" mit einer begrifflich selbstreflexiven Kritik zu reagieren. Der Siegeszug der islamistischen Gruppierungen korrespondiere mit einer schwindenden "Empathie für den Kampf für Demokratie und Freiheit in der westlichen Welt", der sich in Europa zunehmend in einem projektiven Hass "gegen die beiden Staaten richtet, die symbolisch die Ideale von Freiheit und Aufklärung mit militärischer Macht verbinden", also die USA und Israel.

Salzborn wird seinem Anspruch, eine "gesellschaftstheoretisch argumentierende Globaldarstellung der politischen Theorien" zu schreiben, trotz des knappen Raums weitestgehend gerecht. Vor allem aber formuliert er überzeugende Argumente gegen die "Sakrosanktsprechung antiaufklärerischer Bewegungen" in nichtwestlichen Gesellschaften. (Stephan Grigat, 20.2.2016)