Kanzler Werner Faymann erklärte nach seiner Ankunft in Brüssel, er habe nicht vor, zurückzustecken.

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Brüssel – Es soll zeitweise richtig laut geworden sein beim Arbeitsessen am ersten Tag des EU-Gipfels. Das wurde vielfach bestätigt, als die Staats- und Regierungschefs in der Nacht auf Freitag in Brüssel um halb drei Uhr früh auseinandergingen. Das Diner war als kurze Aussprache zum Thema Flüchtlinge angelegt. Gedauert hat es dann fast sechs Stunden.

Dabei brachen die Gegensätze in der Flüchtlingspolitik an mehreren Fronten auf. Er "habe es satt", dass sein Land ständig als tatenlos und unfähig hingestellt werde, schimpfte der griechische Premier Alexis Tsipras.

Italiens Premier Matteo Renzi nahm sich die Osteuropäer vor: "Wenn ihr keine Solidarität zeigt, werden die Länder, die am meisten ins EU-Budget einzahlen, vielleicht weniger Solidarität mit euch zeigen", warnte Italiens Premier Matteo Renzi. Das sei "politische Erpressung", hieß es dazu aus Ungarn, im Namen der vier Visegrád-Staaten mit Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei.

Kommission gegen Faymann

Sie wollen den Balkan abriegeln und den Aufteilungsschlüssel der Kommission für Flüchtlinge nicht akzeptieren. Atmosphärisch belastend kam hinzu, dass ein geplantes Vortreffen der "willigen" Staaten mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu nicht zustande kam. Damit wurde die Hoffnung vor allem der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf sinkende Zuwandererzahlen gedämpft. Nur in einem Punkt waren sich alle einig, auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker: Die Zahl der Flüchtlinge muss 2016 drastisch verringert, Legalität hergestellt werden.

Aber wie? Es gab keine Antwort. Anfang März wird es daher einen neuen EU-Sondergipfel geben, samt einem Treffen mit Davutoglu. Letzteres zu organisieren war bisher Kanzler Werner Faymann zugedacht. Er galt deshalb vor dem Gipfel als Hero, weil es ihm (bis zur Absage) gelungen war, Merkel, Davutoglu und den Franzosen François Hollande an einen Tisch zu bringen. Binnen zwölf Stunden war er der Buhmann, laut Kommission mit Kritik überhäuft.

Wie kam das? Nach der Absage des Türkei-Treffens kam Junckers Team auf die Idee, die Regierung in Wien per Brief daran zu erinnern, dass Obergrenzen europäische und internationale Vereinbarungen verletzten, wie berichtet. Innenkommissar Dimitris Avramopoulos monierte einen zweiten wichtigen Punkt: Wien verletze die Regeln, weil es Asylwerber nach Deutschland "durchwinke".

Faymann wies dies zurück, verwies auf bis zu 90.000 Asylanträge 2015. Er werde nicht akzeptieren, dass wieder so viele Asylwerber kämen, 37.500 sei die Zielgröße. Juristen beider Seiten sollen nun prüfen, wer recht hat.

Hilpold: "Hanebüchener Unsinn"

Der Innsbrucker EU-Rechtsprofessor Walter Obwexer hält die Regelung für korrekt, widersprach der Kommissionssicht. Es stimme nicht, dass Österreich alle Asylanträge annehmen müsse, sondern ins sichere Slowenien zurückweisen könne: eine Sicht, die sein Kollege Peter Hilpold als "hanebüchenen Unsinn" bezeichnete.

Ein langer Rechtsstreit steht ins Haus. Aber was geschähe, würde die Regierung die Sicht der Kommission voll umsetzen: "Österreich muss alle Flüchtlinge, die um Asyl im Land ansuchen wollen, akzeptieren. Nur jene, die sagen, dass sie nach Deutschland wollen, darf es nach Slowenien zurückweisen", hieß es aus der Kommission: "Es dürfen nach den Regeln von Dublin Flüchtlinge nicht weiter nach Deutschland durchgewunken werden."

Hieße konkret: Da auch Slowenien, Kroatien die Flüchtlinge zurückschicken werden, woher sie kamen, würden bald Zehntausende in Griechenland festsitzen. Kein Wunder, dass Tsipras tobte. (Thomas Mayer, 20.2.2016)