Der "tägliche Lopatka" ist zum Fixpunkt der politischen Szene geworden. Praktisch jeden Tag reizt der ÖVP-Klubchef den Koalitionspartner SPÖ mit einer provokativen Aussage, die an den Kern sozialdemokratischen Selbstverständnisses geht. Was will er?

Davon gleich mehr. Aber Faktum ist, dass SPÖ und ÖVP in der Koalition auch in grundsätzlichen Sachfragen letztlich unvereinbare Positionen haben. Man sollte sich das einmal eingestehen, um zu einer realistischen Lagebeurteilung zu kommen. Dass diese Koalition nichts weiterbringt, liegt nicht nur an den handelnden Personen, sondern auch und viel mehr daran, dass sie in ein paar Schlüsselfragen – Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Bildungspolitik – eine völlig unterschiedliche Analyse und völlig unterschiedliche Lösungsansätze haben.

Die Sozialdemokratie des Werner Faymann hat, stark beeinflusst von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, einen traditionell altlinken Ansatz. Der Sozialstaat in seiner jetzigen Form ist teilweise teuer, ineffizient und auch ungerecht. Die Antwort der SPÖ darauf ist, dass man eben irgendwo das Geld herschaffen muss, um den Sozialstaat (vor allem die Pensionen), so wie er ist, weiterfinanzieren zu können. Am liebsten durch (noch mehr) Eigentumssteuern.

Ähnlich ist es im Bildungsbereich, wo die SPÖ die Reste an traditioneller Elitenbildung aushebeln will, die ÖVP aber um keinen Preis "mehr Nivellierung" will. Das wird als echter Angriff auf das eigene gesellschaftliche Selbstverständnis empfunden.

In Wahrheit sind auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik die Gräben real und tief. Es geht oft um Atmosphärisches, aber die Geister scheiden sich sehr real.

Die Faymann-SPÖ ist unter dem Einfluss von Gewerkschaft und Arbeiterkammer gegenüber Werten wie "Unternehmertum", "Leistung" und "Wettbewerb" deutlich skeptischer geworden, als es etwa die Vranitzky-SPÖ war. Die Parole von der "Verteilungsgerechtigkeit" bestimmt nach wie vor die Debatte.

Auch die ÖVP ist weit davon entfernt, eine echt wirtschaftsliberale Partei zu sein. Auch hat die Volkspartei genügend Tabus, wie etwa die Beamtenpensionen, vor allem aber die Weigerung, die völlig undurchsichtigen und überzogenen Förderungsmilliarden zu durchforsten. Denn das brauchen die (hauptsächlich schwarzen) Landeshauptleute für Wahlgeschenke. Aber die ÖVP scheint zu begreifen, dass ihre eigene Kernklientel, der unternehmerische Mittelstand, wegen Reformverweigerung und Belastung mit tausend Vorschriften, schwerst frustriert ist. Ihr Ausweg besteht hauptsächlich darin, die SPÖ zu provozieren.So wie Reinhold Lopatka derzeit fordert, die Agenden der Arbeitsverwaltung mögen auf die ÖVP übergehen.

Die ÖVP hätte längst mit der FPÖ koaliert, wären da nicht zwei Dinge: die Erinnerung an das wenig geglückte schwarz-blaue Experiment; und die Ahnung, dass es diesmal blau-schwarz sein könnte. Das ist die Rücksicht, die Elend lässt zu hohen Jahren kommen (Hamlet). Aber es ist kein gemeinsames Projekt mehr in dieser Koalition. (Hans Rauscher, 19.2.2016)