Österreich ist in der Flüchtlingsfrage aus der selbsternannten "Koalition der Willigen" ausgeschert und auf die Seite der Unwilligen gewechselt. Oder, anders ausgedrückt: Von einem Verbündeten Deutschlands hat sich die Wiener Regierung in Richtung Visegrád-Staaten bewegt. Um es an der Person von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) festzumachen: Er kritisiert noch im Sommer den Zaunbau in Ungarn, sprach im Oktober über einen Grenzzaun als "Türen mit Seitenteilen", um einige Monate später verschärfte Grenzkontrollen an 13 Übergängen und Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen zu verteidigen.
Die Irritation, die dieser Richtungswechsel insbesondere in Berlin und Brüssel ausgelöst hat, ist nachvollziehbar, weil innenpolitische Motive zugrunde liegen, die außenpolitisch nicht ausreichend kommuniziert wurden. In Österreich hält sich die Kritik deshalb in Grenzen, weil der Regierungschef das tut, was der Regierungspartner, die größte Oppositionspartei, der Boulevard und beträchtliche Teile der Bevölkerung seit Monaten fordern: den Zustrom an Flüchtlingen zu begrenzen. Geht es nach Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), sollen die Kontingente noch stärker verringert werden. Wenn verstärkte Grenzkontrollen zu längeren Wartezeiten und damit zu Auswirkungen für Bürger und Wirtschaft führen, werden auch die kritischen Stimmen zunehmen.
Derzeit überwiegt die Einschätzung: Endlich handelt die Regierung. Denn das, was Österreich an anderen Staaten kritisiert hat, dass Flüchtlinge ohne Kontrolle einfach durchgewunken werden, hat man selbst monatelang praktiziert.
Kanzler in Erklärungsnot
Faymann hat seinen Schwenk seinen Landsleuten nicht ausführlich erklärt. Auf dem EU-Gipfel sah er sich plötzlich in Erklärungsnot, zumal die EU-Kommission überraschend deutlich die Position der österreichischen Regierung gerügt und als Verstoß gegen europäisches und internationales Recht angeprangert hat.
Es rächt sich, dass die österreichische Regierung meint, nach Wochen des Diskutierens jetzt sofort handeln zu müssen. Ein Gutachten, ob diese Vorgangsweise überhaupt rechtskonform ist, steht noch aus. Nach Meinung der EU-Kommission werden internationale und europäische Vereinbarungen nicht eingehalten, auch österreichische Juristen sehen das so.
Vereinbarungen gelten auch für Oststaaten
Die EU-Kommission kritisiert auch nicht Österreichs mangelnde Aufnahmebereitschaft, wie Faymann suggeriert. Die Frage, warum die Kommission nicht auch Brandbriefe an die osteuropäischen Staaten schreibt, die sich weiterhin weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, stellt sich jedoch. Auch diese Staaten müssen sich an Vereinbarungen halten. Dass erst 497 von den vereinbarten 160.000 Flüchtlingen von anderen Ländern aufgenommen wurden, ist eine Schande. Schweden, Deutschland und Österreich können nicht auf Dauer die Hauptlast tragen. Aber Österreich setzt auf eine nationale Lösung und will, anders als die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, nicht mehr auf das Handeln der Türkei und Griechenlands warten.
Wenn jeder Staat Obergrenzen und Zäune errichtet, dann löst das einen Dominoeffekt aus, der nur zu einer Verdrängung führt. Österreich hat sich für die Abschottung entschieden und trägt dazu bei, dass die Problemlösung auf internationaler Ebene noch schwieriger wird – das hat dieser EU-Gipfel gezeigt. (Alexandra Föderl-Schmid, 19.2.2016)