Nur beim Versuch, als Pfund-Land auch beim Euro direkt mitzubestimmen, sich also in die Gremien zu setzen, ist die Londoner Regierung gescheitert. Sonst hat David Cameron gesiegt – mit der neoliberalen Politik, den Geldsektor zu schonen und die soziale Qualität der EU zu reduzieren: der britische Premier als Exponent von Wall Street und City of London zugleich.

In der Sache kann über manche Punkte geredet werden. Warum sollen Zugezogene in Österreich gleich eine Mindestsicherung erhalten? Warum sollen EU-Ausländer für ihre Kinder im Heimatland die volle Höhe der Kinderbeihilfe beziehen? Reduzierte Beträge sind vertretbar.

Das entscheidende Ergebnis des EU-Gipfels am Wochenende ist aber, dass ein Mitgliedsstaat mit seinem Sozialabbauprojekt durchgekommen ist. Mit der erpresserischen Bedingung: wenn nicht, dann verlassen wir die EU.

In London sitzen jene Kräfte, die von Anfang an scharf gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer aufgetreten sind. Die Folge: Es gibt sie bis heute nicht, obwohl man auch mit kleineren Beträgen (die immer noch ein paar Milliarden Euro ausmachen würden) sowohl die Sicherung der EU-Außengrenzen als auch einen Teil der Türkei-Hilfe bezahlen könnte.

Die sozialen Hilfen herunterzuschrauben, dafür genügt ein Gipfel (mit Vorlauf) – bei der Transaktionssteuer haben die Finanzminister bereits ein dutzend Mal vergeblich getagt. Das zeigt, was im Europa der 28 wirklich Vorrang hat.

Ausgerechnet der wirtschaftspolitisch konservative deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn hat vor einem Jahr den Satz geprägt: "Wir werden alle zu Geiseln der Finanzmärkte." Oder/und zu Geiseln der Internetkonzerne. Google hat nach eigenen Angaben im Vorjahr mehrere Milliarden Euro mit grenzlegalen Tricks aus Europa, genauer: über die Niederlande, abgezogen. Wird die EU diese Löcher stopfen? Wird darüber auf einem Gipfel geredet? Eher nicht.

Auch auf nationaler Ebene nicht. Denn dort beginnt sich erneut die Sozialspirale zu drehen. Nach unten. In Österreich zum Beispiel. Bundeskanzler Werner Faymann, ein Sozialdemokrat, gab dazu im Zentralorgan der kleinen Leute, der Krone, schon ein gipfelkonformes Interview. Und Sebastian Kurz, Mitglied einer angeblich christlichen Partei, erneuerte seine Sozial-Dumping-Forderungen von 2015.

Immerhin, Wien gehört zu den Verfechtern der Transaktionssteuer. Aber die Bundesregierung hätte für den Brüsseler Gipfel einen vertretbaren (zugegeben: zugleich utopischen) Vorschlag machen können: Ja, wir sind für die britischen Forderungen zu haben, London muss jedoch seine Opposition gegen die Finanztransaktionssteuer aufgeben.

Poster werden mir jetzt realitätsferne Gedankenspielereien vorwerfen. Soll sein. Aber die vergangenen Tage haben wieder einmal gezeigt, dass das soziale Denken weiter an Boden verliert.

Das heißt: Die soziale Ungleichheit wird steigen, diesmal nicht als Folge einer Finanzkrise, sondern als Resultat einer Entscheidung der EU. Der Kontinent soll werden wie die britische Insel. Unsozial. (Gerfried Sperl, 21.2.2016)