Korneuburg/Wien – Nach fünfmonatiger U-Haft befindet sich ein Wiener Banker, der im Spätsommer 2015 seinen Stiefbruder durch einen Kopfschusses getötet hatte, wieder auf freiem Fuß. Ausschlaggebend dafür war ein von Verteidiger Philipp Winkler beantragtes Ergänzungsgutachten des Ballistikers Ingo Wieser, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Korneuburg, Friedrich Köhl, am Montagnachmittag der APA bestätigte.

In dem aufsehenerregenden Fall, in dem wegen Mordverdachts ermittelt wird, hatte es zunächst Zweifel gegeben, ob sich die Schilderungen des Schützen zum Tathergang mit den Feststellungen des Schießsachverständigen in Einklang bringen ließen. Der 44-Jährige hatte bei einer Tatrekonstruktion in seiner Wohnung in Wien-Währing demonstriert, wie es in der Nacht auf den 18. September zu dem fatalen Schuss gekommen war. Seiner Darstellung zufolge wollte er seinem um zwei Jahre jüngeren, im selben Unternehmen beschäftigten Stiefbruder eine seiner beiden Waffen zeigen, nachdem die beiden reichlich dem Alkohol zugesprochen hatten. Dabei soll sich unabsichtlich ein Schuss gelöst haben. Das Projektil drang dem 42-Jährigen in den Kopf. Der Schütze hatte – wie später festgestellt wurde – mehr als zwei Promille Alkohol im Blut.

Kein dringender Mordverdacht

In einem ersten Gutachten legte sich Wieser nicht eindeutig darauf fest, ob die Darstellung des Geschehensablaufs, die der Verdächtige vorbrachte, "technisch nachvollziehbar" ist. Stutzig machte den Experten vor allem der Umstand, dass der 44-Jährige Schmauchspuren an beiden Händen aufwies. Auf Betreiben des Verteidigers führte Wieser dann noch eine ganze Reihe von "Schießversuchen" durch und kam am Ende zu dem Schluss, "dass es sehr wohl sein kann, dass mein Mandant bei der von ihm geschilderten Waffenhaltung Schmauchspuren an beiden Händen haben kann", wie Verteidiger Winkler nun im Gespräch mit der APA bilanzierte.

"Die von der Staatsanwaltschaft ergänzend eingeholten schusstechnischen und chemischen Sachverständigengutachten konnten die Unfallvariante des Beschuldigten nicht widerlegen, weshalb im jetzigen Ermittlungsstadium kein dringender Tatverdacht in Richtung Mord mehr aufrechterhalten werden kann", hieß es seitens der Staatsanwaltschaft Korneuburg, die in dieser Sache aus möglichen Befangenheitsgründen mit den Erhebungen betraut worden war. Grund: Der Schütze war früher mit einer Anklägerin der Staatsanwaltschaft Wien verheiratet.

Der Verteidiger ist überzeugt, dass mit dem vorliegenden Ergänzungsgutachten die Unfallversion erwiesen ist. Sollte sich die Anklagebehörde dem anschließen, wäre mit einem Strafantrag wegen fahrlässiger Tötung – allenfalls unter besonders gefährlichen Verhältnissen – zu rechnen. Wie Behördensprecher Köhl erklärte, sind noch abschließende polizeiliche Erhebungen ausständig. In welche Richtung gegen den 44-Jährigen vorgegangen wird, "wird sich in wenigen Wochen entscheiden", sagte Köhl. Ihren Strafantrag beziehungsweise ihre Anklage wird die Staatsanwaltschaft Korneuburg jedenfalls beim Wiener Straflandesgericht einbringen. Verhandelt wird dann auch in Wien, sollten sich nicht sämtliche Richter des Grauen Hauses für befangen erklären. (APA, 22.2.2016)