Primzahlen-Tanz: Rudi Stanzels "A Pile of Primes" (2016).

Foto: Belvedere Wien, Johannes Stoll

Der "Link-Chain-Curtain" (2016) zeigt auf 27 Metern Länge einen zur Abstraktheit vergrößerten Ausschnitt aus einer Handschrift G. W. Leibniz'.

Foto: Belvedere, Wien

Wien – Wo Primzahlen sind, ist das große Rätsel nie fern. Was sie sind, ist schnell erklärt, nämlich Zahlen, die nur durch eins und sich selbst teilbar sind. Ungeklärt ist aber etwa, nach welchem Muster sie in der Zahlenreihe auftauchen: Es gibt keine Formel, die ihren Rhythmus fassen könnte. Neue Primzahlen wollen daher zufällig "entdeckt" werden – bei kleinen Schritten Richtung Unendlichkeit. Denn dass es unbegrenzt viele geben muss, dies zumindest bewies schon der Grieche Euklid.

Ein Hauch des nicht enden wollenden Zaubers – ein "Ausschnitt aus der Unendlichkeit" – hängt aktuell nun auch in der Sala terrena des Belvedere: mit Rudi Stanzels Intervention A Pile of Primes (2016). Der Wiener Künstler (geb. 1958) hob in einer immerhin 110.616-teiligen Kette jene Glieder farblich hervor, die Primzahlen entsprechen. Dann hängte er den rund zwei Kilometer langen Quasi-Zahlenstrahl so von der Decke, dass sich auf dem Boden der titelgebende Haufen bildete, in welch selbigem die Primzahlen fröhlich ihre Unberechenbarkeit feiern.

Ein Alzerl Zufall

Im OEuvre Stanzels – das derzeit in einem Querschnitt der letzten 30 Jahre in der Wiener Galerie Ulysses zu sehen ist – ist A Pile of Primes gut aufgehoben: In dieser Zeitspanne arbeitete der Künstler an einer systematischen Erforschung der Ausdrucksmittel und des Materials, wobei er sein Repertoire auf zwei Farben (meist Schwarz und Weiß), die Vertikale, die Horizontale, plus ein Alzerl Zufall reduzierte: "Je einfacher der Versuch der Kunst, die Welt zu beschreiben, desto kraftvoller", notierte der Künstler einmal.

Belvedere-Kurator Severin Dünser erhofft sich unterdessen, dass A Pile of Primes "zum Querdenken" einlade. Zugetraut wird der schwarz-violetten, an das rieselnde Innenleben einer Sanduhr erinnernden Intervention aber auch ein "Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart". Einerseits beruft man sich auf die Bedeutung von Primzahlen etwa in modernen Verschlüsselungstechnologien; andererseits auf die angeregte briefliche Korrespondenz, die Prinz Eugen von Savoyen, erster Hausherr des Belvedere, mit dem Mathematiker und Philosophen der Aufklärung Gottfried Wilhelm Leibniz unterhielt.

Der Philosoph und die Pixel

An die Oberfläche tritt letztere Referenz in einer zweiten Arbeit Stanzels in einem Stiegenhaus: Unter dem Titel Link-Chain-Curtain (2016) bilden Ketten einen mehrere Stockwerke hinabfallenden Vorhang. Eingefärbte Kettenglieder werden dabei zu "Pixeln", die sich zu einer – zur Abstraktheit aufgeblasenen und beinahe übermächtig ornamentalen – Darstellung der Handschrift Leibniz' formieren. (Roman Gerold, 22.2.2016)