Malmström und Mitterlehner scheuten die Öffentlichkeit nicht.

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Wien – Steaks von Hormonrindern als Hauptgericht und als Beilage genmanipuliertes Gemüse. Klagen von multinationalen Konzernen vor privaten Schiedsgerichten gegen unliebsame Gesetze. Ein heimlich tagendes Gremium, in dem US-amerikanische und europäische Behörden über die Zulassung neuer Produkte nach Belieben entscheiden können. Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.

Die Kritiker von TTIP haben in den vergangenen Monaten eine Reihe von Horrorszenarien erarbeitet, die alle wahr werden sollen, wenn die EU und die USA ihr Freihandelsabkommen erfolgreich ausverhandeln. Am Montag hat EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in Österreich einen neuen Anlauf unternommen, um diese Horrorliste etwas kürzer werden zu lassen. Die Schwedin traf sich in Wien mit Vertretern von ÖGB, Arbeiterkammer, Attac, Global 2000, also einigen der schärfsten TTIP-Gegner, um über das Freihandelsabkommen zu diskutieren.

Ängste werden ernst genommen

Wir nehmen eure Ängste ernst: Diese Botschaft will Malmström gern vermittelt. Doch die Ablehnung von TTIP sitzt in Österreich bei vielen Organisationen tief, wie auch die Schwedin neuerlich erfahren musste. Gerade bei dem heiklen Punkt der Konzernklagerechte bewegen sich Befürworter und Gegner von TTIP nicht aufeinander zu.

In Freihandelsabkommen ist es üblich, Investoren gesonderte Schutzrechte einzuräumen. Fühlt sich ein ausländischer Konzern von einem Staat diskriminiert, kann er sich an ein Schiedsgericht wenden. Derzeit gibt es bei diesen Schiedsverfahren keine Berufungsmöglichkeiten. Als Richter agieren meist ad hoc bestellte Juristen.

"Augenauswischerei"

Die EU-Kommission will bei TTIP erstmals Berufungsverfahren einführen, und als Schiedsrichter sollen Juristen fix bestellt werden. Diese Reformversprechen seien Augenauswischerei, warf Alexan dra Strickner, Obfrau von Attac-Österreich, Malmström vor. Die Klagerechte schaffen ein System der "Paralleljustiz" für Konzerne, und an diesem Grundprinzip wolle die Kommission weiterhin festhalten. Damit könnten Unternehmen in Europa künftig unliebsame Gesetze aushebeln, so Strickner.

Als abschreckendes Beispiel nannte sie eine geplante Klage von TransCanada Corp in den USA. US-Präsident Barack Obama hat 2015 seine Genehmigung für den Bau der Keystone-XL-Ölpipeline von Kanada in die USA verweigert. Er begründete seine Entscheidung damit, dass der Bau der Pipeline die "US-Führerschaft im Kampf ge gen den globalen Klimawandel untergraben" würde.

Der Fall Keystone

Das kanadische Unternehmen TransCanada Corp wäre einer der Betreiber der Pipeline geworden. Nach eigenen Angaben hatte man bereits kräftig investiert. Nach der Entscheidung Obamas kündigte die Firma eine Klage auf Schadenersatz in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar (13,4 Milliarden Euro) gegen die Regierung in Washington an. Prozessiert werden soll vor einem Schiedsgericht – als Basis für die Klage dient das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta.

Malmström konterte, dass man in TTIP das Recht jedes einzelnen Landes, Gesetze zu erlassen, explizit festschreiben werde. Die Kommissarin verwies auch darauf, dass die Union das System der Investorengerichtsbarkeit nicht erfunden habe. Tatsächlich hat ja auch Österreich mehrere Dutzend solcher Verträge unterzeichnet, viele mit osteuropäischen Staaten. Im Gegensatz zu diesen alten Abkommen werde mit TTIP den rechtsstaatlichen Bedenken Rechnung getragen, so Malmström.

Eine Frage der Transparenz

Ein Schlagabtausch entwickelte sich auch beim Thema Trans parenz. Kommissarin Malmström warb für Verständnis: Sie als Schwedin sei Offenheit in politischen Belangen gewohnt. Man könne aber Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag nicht vor TV-Kameras führen. Doch es habe sich viel verbessert: Noch 2014 war das Verhandlungsmandat der EU-Kommission für TTIP nicht veröffentlicht, inzwischen gibt es das Papier online. EU-Abgeordnete dürfen in Leseräumen ausverhandelte TTIP-Passagen lesen. Seit Anfang Februar haben auch österreichische Parlamentarier Zutritt zu einem solchen Leseraum.

Keine Fotos

Dokumente kopieren und mitnehmen dürfen die Abgeordneten aber nicht, auch Fotografieren ist ihnen untersagt. Die Leseräume schaffen daher keine echte Transparenz, kritisierte Renate Anderl vom ÖGB. Die Chefin der Umweltorganisation Global 2000, Leo nore Gewessler, warnte wieder um vor der Einrichtung eines geheim operierenden Rates, in dem die Regulatoren aus den USA und Europa kooperieren sollen. Das Gremium werde Standards bei Konsumentenschutz schleichend lockern. Malmström erwiderte, dass es einen solchen Rat gar nicht geben werde, zumindest keinen, der das Recht bekommt, selbstständig Produktnormen festzulegen. (szi, 22.02.2016)