Die Zeltplanen werden verschwinden.

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Die Lage in Calais verschärfte sich am Montag. Mehrere Tausend Flüchtlinge, die in Sanddünen östlich der Stadt in einem improvisierten Lager, dem so genannten "Dschungel", leben und nach England übersetzen wollen, bereiteten sich auf die Abreise vor. Ende letzter Woche setzte ihnen die örtliche Polizeipräfektur auf Weisung der französischen Regierung eine Frist bis Dienstag, einen Teil des Lagers zu räumen. Dann sollen die Bulldozer auffahren.

Die französischen Behörden verfolgen offenbar die Taktik, die vielfach kritisierte Zeltsiedlung schrittweise aufzulösen. In den vergangenen Wochen hatten sie bereits das Heranschaffen potenziellen Baumaterials untersagt. Unter Polizeischutz schafften Bagger eine Pufferzone zwischen dem sandigen Heideland und der Zufahrtstraße zum Fährhafen. Das riesige Hafengelände sowie der Bahnhof vor dem Ärmelkanaltunnel waren in den Vormonaten hermetisch abgeriegelt worden. Die aus dem Mittleren Osten und Nordafrika stammenden Flüchtlinge schaffen es kaum noch über Sattelschlepper oder TGV-Züge nach Großbritannien.

Vorrangiges Ziel: England

Im Jänner hatte die Regierung Wohncontainer für ein paar Hundert Lagerbewohner aufstellen lassen – mitfinanziert von der EU. Dort ist auch eine bessere Kontrolle möglich. Nun soll der südliche, stadtnahe Teil des Lagers ab Dienstag geräumt werden. Etwa tausend Flüchtlinge müssen ihre Zelte aufgeben. Die Betroffenen sollen in weitere Container oder andere Aufnahmezentren übersiedelt werden. Letzteres lehnen die Flüchtlinge mehrheitlich ab, da sie nach England wollen.

Für erhöhte Spannungen sorgten auch Aktionen der militanten Organisation No Border, die sich immer wieder mit der Polizei anlegt. Rechtsextreme Vereinigungen, darunter ein französischer Pegida-Ableger, verlangten umgekehrt bei Demonstrationen schon den "Rauswurf" der Flüchtlinge.

Humanitäre Verbände bezeichneten die Räumung am Montag als "überstürzt". Sie befürchten, dass die Flüchtlinge sich auf die diversen Fährhäfen am Ärmelkanal verteilen könnten. Dies würde die polizeiliche Kontrolle und humanitäre Betreuung beträchtlich erschweren, erklärte ein Sprecher von Ärzte ohne Grenzen. Vierzig Kilometer östlich von Calais ist in Grande-Synthe, einem Außenquartier von Dunkerque (Dünkirchen), in den letzten Monaten ein zweites großes Flüchtlingslager entstanden, das laut einer anwesenden Helferin "kein Slum, sondern eine offene Müllhalde" sei. Vor allem irakische Kurden warten dort auf bessere Zeiten. (Stefan Brändle aus Paris, 22.2.2016)