Foto: APA/AFP/LEON NEAL

Kuchen, so lautet ein altes englisches Sprichwort, könne man entweder haben oder verzehren – beides gehe nicht. Hingegen hat Boris Johnson schon seit Jahren seine eigene Herangehensweise: "Ich bin eindeutig fürs Haben und eindeutig fürs Verzehren."

Für solche schräge Sprüche lieben die Briten den Konservativen. Die Londoner haben den 51-Jährigen zweimal zu ihrem Bürgermeister gewählt. Doch der Appeal des Mannes mit dem Wuschelkopf und der profunden klassischen Bildung reicht weit über die Hauptstadt hinaus. Der konservative Kommentator Tim Montgomerie macht dazu eine einfache Gleichung auf: "Das moderne Britannien mag Johnson, weilJohnson das moderne Britannien mag."

Langes Hin und Her

Umso entzückter waren die Befürworter des Austritts Großbritanniens aus der EU (Brexit), als sich ihnen der Bürgermeister nach langem Hin und Her am Sonntagabend angeschlossen hat.

Für Premier David Cameron hingegen stellte die Entscheidung seines Rivalen einen harten Schlag dar, schließlich hatte sich der Regierungschef intensiv um die Gunst seines einstigen Kameraden am Eliteinternat Eton, an der Uni Oxford und beim legendären Saufclub Bullingdon bemüht. Johnson verleiht dem Brexit-Lager Gewicht, das Rechtspopulisten wie Ukip-Chef Nigel Farage und linke Antisemiten wie George Galloway nicht auf die Waage bringen.

Humorist mit dem eisernen Machtwillen

Doch scheint der Humorist mit dem eisernen Machtwillen an seiner "Kuchenpolitik" festhalten zu wollen: In seiner Kolumne für den Daily Telegraph, die ihm zusätzlich zum Bürgermeistergehalt jährlich 320.000 Euro einbringt, schrieb Johnson jedenfalls von der Abstimmung als Chance für ein "neues Verhältnis" zu Europa.

Der frühere Brüssel-Korrespondent scheint noch immer der Idee anzuhängen, man könne die Briten zweimal abstimmen lassen: Das Nein zur EU im Juni werde Brüssel zu größeren Zugeständnissen bewegen, und in Neuverhandlungen könne dann doch noch einem Ja der Weg bereitet werden.

Downing Street 10

Ob Johnson selbst die Verhandlungen führen will? Die gesamte britische Politikelite hat den Vater von vier ehelichen Kindern im Verdacht, er strebe selbst in die Downing Street 10. Tatsächlich müsste Cameron nach einem Nein zurücktreten – kaum ein Jahr nachdem ihn die Briten zum ersten alleinregierenden Tory seit 18 Jahren gemacht hatten. Mit seinem Nein hat sich Johnson dem überwiegend EU-feindlichen Parteivolk als Nachfolger empfohlen. (Sebastian Borger, 22.2.2016)