Graz – Am liebsten würde er wohl seine Kapuze über den Kopf ziehen und nichts mehr hören und sehen. Der Staatsanwalt, der Richter samt den beiden Beisitzern, sie alle, so meint er, verstehen ihn einfach nicht – den Angeklagten, der am Grazer Straflandesgericht wegen Verdachts des mehrfachen Mordes in Syrien und des Anschlusses an eine terroristische Vereinigung, den "Islamischen Staat", angeklagt ist. Er versucht es nochmals zu erklären: Er habe den beiden Frauen nur Gutes tun wollen.

Es geht um einen Vorfall in Wien, der nicht unbedingt mit den angeklagten Verbrechen, für die er sich unschuldig fühlt, zu tun hat. Bevor sich der 28-jährige Tschetschene nach Syrien aufgemacht hatte, war er mit seiner im siebenten Monat schwangeren Frau in Wien mit dem Auto unterwegs, hielt an und wies zwei Frauen zurecht, dass es ihnen nicht erlaubt sei, Leggings zu tragen. Kopftuch und Leggings, das gehe nicht. "Man muss doch etwas sagen, wenn jemand etwas falsch macht", sagt der Angeklagte. Wenn sich jemand zum Islam bekenne, müsse er sich auch danach halten. Und dazu zähle eben, dass Frauen keine enge Kleidung tragen dürfen. Nein, er sei nicht als Scharia-Polizist unterwegs gewesen, "ich wollte ihnen nur Gutes sagen". Diese quittierten die Rüge mit einer Spuckattacke, die Sache landete bei Gericht.

Dass er beide Frauen auf das richtige islamische Verhalten aufmerksam gemacht habe, sei doch nichts Falsches. "Aber das geht Sie doch gar nichts an, was die Frauen anhaben", knurrt der Staatsanwalt. Der Angeklagte will nicht verstehen, warum man ihn nicht verstehen will.

Keinen IS-Eid geleistet

Vor dem kurzen Ausflug in die parallele Lebenswelt des Angeklagten ging es aber um den Kern der Sache: um dessen Reise nach Syrien und die vermutete Mitgliedschaft bei der Terrormiliz IS. Er habe ja gar nicht gewusst, bevor er nach Syrien fuhr, wer der IS sei, erklärt der Angeklagte dem Richter. Er sei zwar dabei gewesen, habe IS-Leute gekannt, aber "niemals einen Treueeid geleistet".

Warum sei er nach Syrien gefahren? Er hatte Frust, sagt er. Keine Arbeit, die Familie bedrängte ihn ständig, einen Job zu suchen, dann sei noch der Verfassungsschutz mit dauernden Fragen dahergekommen. "Es hat alles gereicht", sagt der Angeklagte. Ohne seine Familie zu informieren, machte er sich auf den Weg nach Syrien, seine Frau ging zur Polizei und erstattet eine Abgängigkeitsanzeige.

"Ich wollte nur helfen"

"Warum nach Syrien?", fragt der Richter nochmals. "Weil ich helfen wollte." Er habe auf Youtube Filme gesehen, wie die Bevölkerung leide. "Da hätten Sie ja auch zum Roten Kreuz oder zur Caritas gehen können", spöttelt der beisitzende Richter. Der Angeklagte wird mit abgehörten Telefonaten mit dem ebenfalls in Graz angeklagten, hinter ihm sitzenden "Prediger" konfrontiert, und da klingt alles ganz anders. Da ist auch von "heiß aufs Schlachten" die Rede.

Das war nicht ernst gemeint, sagt er, niemals würde er so etwas tun. Ja, er habe die IS-Leute damals gemocht, "weil sie Kriminelle zur Verantwortung gezogen haben", aber in der Haft sei ihm klar geworden, dass er damit nichts zu tun haben will. Er habe eigentlich fürchterliche Angst gehabt und nicht gewusst, dass es so etwas wie dort in Syrien überhaupt gebe. Das habe auf den Videos "alles so lustig" ausgesehen. Albträume habe er von dieser Zeit in Syrien. Wobei: Er habe niemals geschossen.

Genau das will ihm die Staatsanwaltschaft aber nachweisen, dazu wird sie auch noch in dieser Woche einen Kronzeugen befragen. Der Angeklagte gibt zwar an, eine Pistole besessen zu haben, sie aber in Syrien nur zur Sicherheit getragen, nie aber benutzt zu haben.

Die "blonde Maus"

In den abgehörten Telefonaten war auch von den "Ungläubigen" die Rede, von Terroristen, aber auch von einer "blonden Maus" und vom "Aufreißen wie eine Chipstüte". Der Prediger kann sich wieder nicht wirklich erinnern, derartiges besprochen zu haben, er habe so viele Gespräche im Auto geführt. "Aber wenn wir dabei gelacht haben, war das sicher nichts Ernstes, nur Kneipengespräche." Das sei "nur Spaß" gewesen. Und dass ihm der Angeklagte am Telefon brisante Details von dem Syrien-Aufenthalt erzählt habe, sei ihm auch nicht mehr gegenwärtig. Die Verteidigung will nun alle Gespräche live im Gerichtssaal hören.

Der beisitzende Richter fasst zusammen: "Alles, was wir bisher in den Verhandlungen gehört haben, ist, dass Sie sich nicht erinnern, dass alles falsch verstanden wird oder dass alles nur Spaß war." Der Prozess wird am Mittwoch mit der Einvernahme von Zeugen fortgesetzt. (Walter Müller, 23.2.2016)