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Mäuseriche, die angeschlagen sind, werden von Mäusedamen gemieden. Trotzdem klären malade Männchen mit ihren von Menschen nicht hörbaren Lauten alle Artgenossen über ihren Zustand auf. Vielleicht eine Warnung zum Schutz der eigenen Sippschaft.

Foto: Picturedesk/Tidman

Wien – Hirsche stellen ihre Geweihe zur Schau und setzen diesen Kopfschmuck bei kräftezehrenden Kämpfen ein. Die Nachtigall trällert mit 90 Dezibel vom Baumwipfel, und der Pfau setzt seit eh und je auf sein atemberaubend schillerndes Gefieder. Viele Männchen des Homo sapiens wiederum prahlen gern mit evolutionstechnischen Neuerungen wie zum Beispiel ihren Autos. Der Zweck ist jedoch immer der gleiche: Mann will potenziell paarungsbereite Artgenossinnen beeindrucken.

Die imposanten Körpermerkmale und Verhaltensmuster sollen den Weibchen signalisieren, dass ihr Gegenüber erstklassiges Genmaterial zu bieten hat. Je aufwendiger, kraftvoller oder größer, desto besser. Wer kann es sich schon leisten, jedes Jahr ein kiloschweres Knochengebilde auf dem Kopf wachsen zu lassen und dann auch noch fit zu bleiben? Nur die Stärksten. Dementsprechend verfallen die Hirschkühe dem Platzhirsch gleich gruppenweise. Ob den äußerlichen Zeichen allerdings immer zu trauen ist, ist ein anderes Thema. Auch die Schwächeren wollen sich gern fortpflanzen.

Patricia Lopes geht der Sache seit einigen Jahren auf den Grund. Die an der Universität Zürich tätige Verhaltensbiologin studiert vor allem die Auswirkungen von Krankheit auf das Balzgebaren von Tieren.

Für Weibchen ist nicht nur die genetische Ausstattung ihres Partners wichtig, erklärt die Forscherin, sondern auch dessen aktueller Gesundheitszustand. Ein malades Männchen kann schließlich ansteckend sein und fällt bei der Brutversorgung womöglich aus. Keine gute Wahl. Bei Schwerkranken sind die Symptome kaum zu übersehen, aber in leichteren Fällen kann anscheinend getrickst werden.

Angeschlagene Zebrafinken

Lopes hat das bei Versuchen mit männlichen Zebrafinken beobachtet. Die gesundheitlich etwas angeschlagenen Tiere wurden bei Damenbesuch merkbar munterer. "Bevor die Weibchen hinzukamen, waren sie sehr ruhig." Ihr anschließendes Balzverhalten ließ sich von dem gesunder Männchen nicht unterscheiden. Die Vögel sind offenbar in der Lage, ihre krankheitsbedingten Beeinträchtigungen bis zu einem gewissen Grad zu überwinden. Alles eine Frage der Motivation.

Doch fallen die Weibchen überhaupt auf solche Täuschungen herein? Dieser Frage ist Patricia Lopes zusammen mit ihrer Zürcher Kollegin Barbara König bei Mäusen auf den Grund gegangen. Um kontrollierte Krankheitssymptome auszulösen, setzten die Wissenschafterinnen sogenannte Lipopolysaccharide, kurz LPS, ein. Letztere sind charakteristische Bestandteile bakterieller Zellmembrane. Das Immunsystem erkennt sie als Hinweise auf eine Infektion und antwortet dementsprechend. Es löst Entzündungsreaktionen aus – mit weitreichenden Auswirkungen auf den Stoffwechsel.

Lopes und König arbeiteten mit Brüderpaaren. Eines der Tiere bekam LPS injiziert, das andere nur eine isotonische Kochsalzlösung. Beide wurden anschließend in kleine, angrenzende Versuchskammern gesetzt, mit je einem Gitterfenster zu einer Nachbarkammer. Dort kam ein gesundes, geschlechtsreifes Mäuseweibchen hinein. Den beiden Brüdern blieb das natürlich nicht verborgen. Sie nahmen umgehend Kontakt auf.

Zweigleisige Kommunikation

Unter Mäusen verläuft die Kommunikation zwischen den Geschlechtern im Wesentlichen zweigleisig. Zum einen scheiden die Tiere über ihren Urin diverse Duftstoffe aus. Bei den Männchen spielt dabei das Protein Darcin die Hauptrolle. Seine Produktion findet in der Leber statt und wird durch den Botenstoff Testosteron gesteuert.

"Darcin wirkt wie ein Pheromon", erklärt Patricia Lopes. Mäusedamen finden es attraktiv, eine andere Funktion ist nicht bekannt. Allerdings scheint der Duft nicht weit zu tragen. Beobachtungen zufolge müssen die Weibchen praktisch direkt damit in Berührung kommen, um unter seinen Einfluss zu geraten. Mäuse verteilen ihren Urin sehr großzügig in der Umgebung.

Die Nager tauschen sich jedoch auch akustisch aus. Mäuseriche verfügen über ein ganzes Repertoire an Lautsignalen. Menschen können sie nicht hören, weil ihre Frequenz im Ultraschallbereich liegt. Weibliche Mäuse hingegen lassen sich von den Gesängen ihrer Artgenossen regelrecht betören – aber nur, wenn die Tonlage stimmt.

Erkrankte Mäusemännchen scheinen allerdings kaum eine Chance zu haben. Den Versuchsergebnissen der beiden Zürcher Biologinnen zufolge schenkt ihnen das andere Geschlecht nur sehr wenig Aufmerksamkeit. Die Weibchen verbringen ihre Zeit lieber in der Nähe des mutmaßlich gesunden Bruders. Deren Darcin-Produktion war fast dreimal so hoch wie die der mit LPS behandelten Mäusemännchen. Die Testosteronkonzentration im Blut der Injizierten betrug dabei fast null.

Ehrliche Männchen

Noch wichtiger dürften allerdings Veränderungen in den Lautäußerungen sein. Lopes und König analysierten sie und kamen zu beileibe erstaunlichen Ergebnissen. Prinzipiell könnten die Männchen hier tricksen, sie tun es aber nicht. Während die unbehandelten Nager das übliche Repertoire mit hunderten verschiedenen Klangabfolgen zu Gehör brachten, beschränkten sich die LPS-geplagten auf wenige, aber viel höhere Töne mit Frequenzen über 110 Kilohertz (vgl.: Journal of Animal Behaviour, Bd. 111, S. 119). Fürwahr ein krasser Unterschied.

Mäuseweibchen erkennen die kargen, schrillen Gesänge vermutlich als Hinweis auf eine mangelhafte Gesundheit. Doch warum geben die Männchen so bereitwillig Auskunft über ihren Zustand, anstatt zu täuschen, und verringern so ihren Fortpflanzungserfolg? Dem Einzelnen bringt es tatsächlich keinen Nutzen, meint Patricia Lopes. "Aber es könnte eine Warnung zum Schutz der eigenen Sippschaft sein."

Dies gereiche zumindest verwandten Genen zum Vorteil. Demnächst will Lopes auch die Auswirkung der Krankheitssignale auf das Sozialverhalten untersuchen, dieses Mal bei wildlebenden Mäusen auf einen Schweizer Bauernhof. (Kurt de Swaaf, 27.2.2016)