Volkstheater-Intendantin Anna Badora.

Foto: APA / Hans Klaus Techt

Heike Müller-Merten, leitende Dramaturgin am Volkstheater.

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Wien – Apropos Flüchtlingswelle. Rund um das Volkstheater gehen die Wogen hoch, seit man vor zwei Wochen bekanntgab, Homohalal als letzte Hauptbühnenpremiere dieser Spielzeit abzusagen. Vermutlich wäre das sang- und klanglos untergegangen, handelte es sich beim 2013 vor dem Hintergrund der Votivkirchen-Flüchtlinge entstandenen Stück nicht um eine bitterbös-satirische Flüchtlingsdystopie: Wie sieht das Zusammenleben 20 Jahre danach aus? – Schlecht! Die anfängliche Euphorie ist verflogen, die ehemaligen Helfer sind frustriert, die Flüchtlinge haben sich nicht integriert, Interkulturalität scheitert von allen Gruppen her.

Und wie immer, wenn es dieser Tage um Flüchtlinge geht, ist die Hysterie nicht nur groß, sondern sie kommt von allen Seiten: von den Linken, Rechten, politisch Korrekten. Im Gespräch mit dem STANDARD bekundet Volkstheater-Intendantin Anna Badora ihr Unverständnis darüber. "Die Spielplanveränderung ist zu einer Projektionsfläche für alles geworden, was sich in diesem Zusammenhang seit Köln fast schlagartig verändert hat. Als glaubte jemand, wenn Homohalal jetzt aufgeführt worden wäre, würden alle Fragen, die bisher zu stellen verabsäumt wurde, gestellt und beantwortet und alle Diskussionen, die nicht geführt wurden, vom Stück gelöst."

Kritik, Lob und Frust

Viel haben Badora und ihr Team seit der "Verschiebung", denn beendet ist das Projekt für sie noch nicht, über die Medien ausgerichtet bekommen. Vom "Anschein präventiver Selbstzensur" sprach die Presse, im Falter war die Rede von einem "Eindruck, dass sich das Volkstheater zuerst mit einem Flüchtlingsstück schmücken wollte, nun aber Schiss bekam". Nur der Kurier bestärkte Badora darin, "das Geschrei zu ignorieren und Maßstäbe anzusetzen, die höher, schwieriger, differenzierter sind als die des Alltags". Zudem kriegt Badora Abokündigungen von enttäuschten Linken und Lobesschreiben von eifrigen Rechten ("Super, weg mit der Flüchtlingsproblematik, toll!") und versteht die Welt nicht mehr. Manche wollen aber auch nur ihren Frust, dass man sich nirgendwo aussprechen kann oder intellektuelle oder politische Hilfe bekommt, abladen, glaubt sie.

Wenn man Badoras erstem Spielplan etwas nicht vorwerfen kann, dann, dass sie sich mit gesellschaftskritischen Produktionen zurückgehalten hätte. Fasching, Der Marienthaler Dachs und Lost and Found fallen der leitenden Dramaturgin Heike Müller-Merten da nur unter anderem ein. "An dieser einen Stelle jetzt geht uns also nicht die Luft aus," meint sie.

Verantwortung als Intendantin

Badora führt aus: "Es ist meine Verantwortung als Intendantin, rechtzeitig umzusteuern, wenn wir merken, dass die Zeit über die Form des Stücks hinweg gefegt ist. Mein Ensemble hatte mich damit konfrontiert: Kann man diesem existenziell gewordenen Thema mit dieser Art der Umsetzung gerecht werden, ohne es damit zu banalisieren? Veränderungen erfordern übrigens deutlich mehr Mut als 'Augen zu und durch'."

Warum das? "Wir lesen Stücke ja immer wieder neu und das Heute mit", sagt Müller-Merten. Als man Homohalal vor zwei Jahren auf den Spielplan gehoben habe, seien Flüchtlinge "ein Randthema" gewesen, das man "ins öffentliche Bewusstsein bringen" wollte, so Badora. "Seither beherrscht es aber die Agenden der Öffentlichkeit, ist aber auch eine Frage von Leben, Tod und Zukunft für viele hunderttausend Menschen. Seit Köln ist die Auseinandersetzung darüber militant geworden und die öffentliche Meinung hat sich deutlich gedreht. Man kann die Form der Umsetzung nicht von der Situation, in der das Stück entstanden ist, trennen."

Künstlerische Entscheidung

In Adaptionsversuchen mit dem in Syrien geborenen und seit 2002 in Wien lebenden Autor Ibrahim Amir habe man es bisher nicht geschafft, eine den geänderten Rahmenbedingungen adäquate Form zu finden. Die Entscheidung zur Absage sei also eine künstlerische. Das Interesse an Amirs Text ist deshalb aber nicht erloschen.

Man sei "mit ihm in Diskussion, das Stück vielleicht auch unter Einbeziehung der inzwischen entbrannten Debatte zu aktualisieren", so Badora. Abseits eines Illusionstheaters. Sollte daraus nichts werden, stehe es Amir "aber natürlich frei, es auch anderen Häusern anzubieten". Und so entzieht sich der Text als Objekt der Aufregung jener vorerst auch weiterhin weitgehend.

Diskussionen und Debatten seien gewollt, so die beiden, aber zurzeit habe man es mit "Behauptungen", "Bevormundung" und "Besserwisserei" zu tun – die eigene Entscheidung wie auch das ganze Flüchtlingsthema betreffend. (Michael Wurmitzer, 23.2.2016)