Frankreichs rechte Jugendliche – hier bei einem Maiaufmarsch des Front National im vergangenen Jahr – sehen sich selbst nicht als Rassisten, sondern als Menschen, die bloß ihr Land lieben.

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FN-Chefin Marine Le Pen will die Partei mehr zur Mitte führen.

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Das trifft sich aber gut: Das Pariser Parteilokal des Front National Jeunesse (FNJ), der Jugendbewegung von Marine Le Pens Gruppierung, liegt ausgerechnet in der Rue Jeanne d'Arc. Dass die Straße nach der Schutzheiligen der Franzosen – und auch die Frontisten berufen sich auf sie – benannt ist, sei "purer Zufall", lacht FNJ-Chef Gaëtan Dussausaye (21).

An der Eingangstür steht nicht "Front National", sondern unverbindlich "Forum". Ja, der Parteiname erwecke oft eine ablehnende Reaktion, bekennt Dussausaye, Philosophiestudent mit Dreitagesbart. "Aber unsere Bewegung ist keineswegs rassistisch: nur kompromisslos für die Souveränität Frankreichs."

Als Beleg führt Dussausaye an, dass er selbst im Pariser Ausländerviertel Clignancourt wohne. Bestätigt sich dort etwa die rechtsextreme These des "grand remplacement", der Verdrängung der abendländischen Zivilisation durch die arabische und afrikanische Immigration? "Nein, das ist ein rassisches Konzept, dem unsere Jugendorganisation nicht folgt", beteuert Dussausaye. "Wir sprechen nicht von einem ethnischen, sondern von einem kulturellen Wechsel: In Clignancourt gibt es immer weniger herkömmliche Fleischhauer oder Bistros; dafür aber zunehmend Moscheen, Kebabs und Halal-Metzgereien."

"Wir lieben unser Land"

Beim FNJ bemüht man sich um ein aufgeschlossenes Image. "Wir sind weder schwulen- noch fremdenfeindlich, wir lieben einfach unser Land", sagt Louis, ein 24-jähriger Jusstudent. "Wir sind keine antiquierten Rückwärtsdenker. Im Unterschied zu den konservativen Republikanern, deren chancenreichster Präsidentschaftskandidat Alain Juppé über 70 ist."

Für Sarkozys Republikaner stimmte einst auch Thomas (23). "Ich stamme aus einer bürgerlichen Familie in der Champagne, wo die meisten Leute noch heute Anhänger von Charles de Gaulle sind", erzählt der Schnellredner, der bei den Regionalwahlen im vergangenen Dezember ein Mandat eroberte – allerdings für den FN. Denn: "De Gaulles nationale, antiliberale und euroskeptische Werte werden heute vom Front National verkörpert."

Doch predigt Parteigründer Jean-Marie Le Pen nicht auch wirtschaftsliberale Rezepte? "Das war einmal", entgegnet die Grafikerin Marion (25). "Seitdem Marine Le Pen Parteichefin ist, ist der Front National nicht mehr extrem, weder links noch rechts. Er ist eine neue Kraft, die uns Hoffnung gibt in einem Land, in dem ein Viertel der Jugendlichen arbeitslos ist."

Dass das FN-Programm die Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzen würde, wie die meisten Ökonomen schätzen, tut Marion mit einer Handbewegung ab. "Das behaupten die altmodischen Achtundsechziger, die mit ihren liberalen Ansichten den ganzen Schlamassel angerichtet haben!"

"Frankreich verliert"

Jetzt beginnt die Diskussion in der Gruppe. Offizielles Thema der Woche ist die "Frankofonie", die Gemeinschaft der 450 Millionen Französischsprachigen rund um den Globus. Loup, ein junger Mann mit Kinnbart und lockerem Auftreten, korrigiert aber gleich: Das eigentliche Thema sei heute die "Ausstrahlung Frankreichs": "Während Deutschland triumphiert, verliert Frankreich ständig an Strahlkraft", bedauert der Überläufer der linksnationalen Partei MRC von Exminister Jean-Pierre Chevènement.

Noch zentraler wird dann ein anderes Thema: die Einwanderung. An der Wand des fensterlosen Raumes hängt zwischen einer rot-weiß-blauen Trikolore und einem Marine-Le-Pen-Porträt prominent ein Plakat mit dem Slogan: "100 Prozent FN, 0 Prozent Migranten". "Sie", die Migranten. Und "wir", die Franzosen.

Wegen der kostenlosen medizinischen Versorgung wirke Frankreich wie ein Magnet. "Wenn wir wollen, dass unser Lebensstandard auf 'sie' nicht wie eine Saugpumpe wirkt, müssen wir 'ihre' Landwirtschaft in Afrika fördern und entwickeln", doziert Jungfrontist Loup. "Nur so erreichen wir, dass sie nicht mehr hierherkommen." Kunstpause. "Und dass sie nicht mehr auf die Frauen in Köln schießen." Diese Bemerkung, die den offiziellen Teil des Abends beschließt, sollte wohl ein Scherz sein; die vorwiegend männlichen Zuhörer lachen jedenfalls laut.

"Keineswegs gegen Muslime"

FNJ-Aktivistin Marion verteidigt im allgemeinen Aufbruch dann den Feminismus von Simone de Beauvoir – doch ist das nicht ein Widerspruch zu ihrer zuvor geäußerten Kritik an den Achtundsechzigern? Die Antwort geht im Lärm unter, denn nun ruft jemand scherzeshalber: "Saucisson et pinard!" Alkoholische Aperitifs und Schweinefleisch – was "natürlich", wie FNJ-Vorsitzender Gaëtan erklärt, "keineswegs gegen Muslime, Ausländer oder den Islam" gerichtet sei. (Stefan Brändle aus Paris, 24.2.2016)