Wien/Moskau – Der angebliche Sechsfachmörder Aslan G., der auf Betreiben der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft an Russland ausgeliefert werden soll, ist am Dienstag auf freien Fuß gesetzt worden. Er wurde nach Hinterlegung einer Kaution von 100.000 Euro vom Wiener Straflandesgericht gegen Gelöbnis enthaftet, nachdem er sich in den vergangenen 13 Monaten in der Justizanstalt Josefstadt befunden hatte.

"Wir sind erfreut, dass das OLG unsere Rechtsansicht geteilt hat", sagte Lukas Kollmann, einer der Anwälte des Russen. Das Vertrauen seines Mandanten in die österreichische Justiz sei dadurch gestärkt worden.

Gefälschter Pass in Bulgarien

G. war zuletzt nur mehr in Übergabehaft, weil die bulgarischen Behörden ihn wegen eines Urkundendelikts – der 45-Jährige hatte in Bulgarien einen gefälschten Pass verwendet – zur Verantwortung ziehen möchten. Die Auslieferungshaft wegen des russischen Ersuchens war bereits am 19. Jänner abgelaufen.

Das Oberlandesgericht leistete nun einer Beschwerde von G.s Anwälten gegen die Übergabehaft Folge. In Bezug auf den falschen Ausweis geht es im Unterschied zum Erstgericht von keiner Tatbegehungsgefahr aus. Der verbliebene Haftgrund der Fluchtgefahr war nach Dafürhalten des OLG durch die Kaution zu subsumieren. "Das Geld ist heute am Konto des OLG eingelangt. Der zuständige Richter hat daraufhin die Enthaftung gegen Gelöbnis verfügt", teilte Straflandesgerichtssprecherin Christina Salzborn mit.

G. darf Land nicht verlassen

G. sicherte bei seiner Enthaftung zu, er werde bis zur endgültigen Entscheidung über das russische Auslieferungsersuchen und das bulgarische Übergabeverfahren das Land nicht verlassen. Er verpflichtete sich, seinen Wohnort und allfällige Adressänderungen der Justiz bekanntzugeben.

G. war im Jänner 2015 bei einer Zielfahndung am Wiener Hauptbahnhof festgenommen worden. Die russischen Behörden werfen ihm vor, dass er als Chef einer kriminellen Vereinigung zwischen November 2012 und Oktober 2013 sechs Menschen von Mitgliedern seiner Bande mit Kalaschnikow-Sturmgewehren oder Maschinenpistolen beseitigen habe lassen.

Verdächtiger soll Mafiapate sein

Bei zwei weiteren, angeblich von G. in Auftrag gegebenen und im Dezember 2012 und Juni 2013 verübten Anschlägen kamen drei Personen mit dem Leben davon. Der Bande, die auf organisierte Kriminalität spezialisiert sein soll, werden auch die Morde an dem nordossetischen Vizepremier Kasbek Pagijew und am Bürgermeister der Hauptstadt Wladikawkas, Witali Karajew, im Jahr 2008 zur Last gelegt.

G. bestreitet jedoch vehement, je an der Spitze einer mafiösen Vereinigung gestanden zu sein und Mordaufträge erteilt zu haben. Er bezeichnet sich als Opfer einer zufälligen Namensgleichheit und versichert, die Anschuldigungen seien politisch motiviert und von maßgeblichen Stellen in Moskau gesteuert.

Das Auslieferungsersuchen, das die Wiener Justiz nach mehreren Anläufen zunächst genehmigt hatte, wurde vom Oberlandesgericht Ende 2015 auf Eis gelegt. Einerseits war dafür eine Gesetzesänderung in Russland ausschlaggebend, wonach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur mehr dann innerstaatlich wirksam sind, wenn sie der russischen Rechtslage entsprechen. Kritiker interpretieren diese in Verfassungsrang erlassene Bestimmung als De-facto-Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Zweifel an Zusagen russischer Behörden

Zudem wurde bekannt, dass sich Russland in einer im August über die Bühne gegangenen Auslieferung offenbar nicht an die damals abgegebenen Garantien hält. Die Moskauer Generalstaatsanwaltschaft hatte den österreichischen Justizbehörden unter anderem versprochen, dass ein anwaltlicher Vertreter den Betreffenden nach seiner Überstellung jederzeit ohne Voranmeldung besuchen darf und er in einem westeuropäischen Standards entsprechenden Gefängnis untergebracht wird. Laut Informationen der Gefangenenhilfe Pokrow fühlen sich die russischen Strafverfolgungsbehörden daran aber nicht gebunden.

Hinsichtlich des bulgarischen Übergabeverfahrens erklärte das Straflandesgericht die Übergabe zur Strafverfolgung wegen des Urkundendelikts am 27. Jänner für zulässig. Dagegen legten G.s Anwälte Beschwerde ein, die beim OLG anhängig ist. Denselben falschen Ausweis hatte G. auch in Österreich benutzt, wo er vor 13 Monaten festgenommen wurde. Im Unterschied zu Bulgarien sah Österreichs Justiz keinen Grund, ihm deswegen einen Prozess zu machen – die Staatsanwaltschaft Wien legte die Anzeige, die G. selbst eingebracht hatte, wegen Geringfügigkeit zurück und stellte das Strafverfahren ein.

Entscheidung auch in weiterem Russland-Fall

Unterdessen wies das OLG in einem ähnlichen Fall den Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens vor kurzem zurück. Der ehemalige Generaldirektor der staatlichen russischen Finanzierungsgesellschaft FLC, Nail M. (48), den Russland wegen Anstiftung zum Mord und schweren Betrugs vor Gericht stellen möchte, hatte damit seine im Oktober für zulässig erklärte Auslieferung bekämpft. Die von seinem Anwalt Richard Soyer vorgebrachten Argumente, der Verstöße gegen das Folterverbot und das Recht auf ein faires Verfahren ins Treffen führte, hatten vor dem OLG keinen Erfolg. Offen ist noch ein Antrag auf Wiederaufnahme des Auslieferungsverfahrens, der ebenfalls beim OLG anhängig ist. (APA, 23.2.2016)