Wien – Am Ende rücken Lastwagen aus. Die Enthüllungsgeschichte ist geschrieben, die Anspannung lässt nach, und Tom McCarthys Film Spotlight atmet auf Bildern von Distributionswegen aus. Er zeigt die Papierbahnen, die über die Druckerpressen laufen, Angestellte, die Zeitungsbündel verladen, und schließlich die grünen Lastwagen des Boston Globe, die choreografiert wie Militärfahrzeuge die Neuigkeiten in die Welt bringen. Das ist ein durchaus sentimentaler Moment: Im digitalen Zeitalter haben sich die filmischen Bilder für Nachrichtenproduktion und Informationstransfer beschleunigt, und Papier ist nicht mehr unhinterfragt das Trägermedium journalistischer Arbeit.
In Alan J. Pakulas großem Investigationskrimi Die Unbestechlichen von 1976 hatte die gedruckte Zeitung noch das Monopol auf die Vorstellung von journalistischer Aufklärung. Folglich konnte vom Geratter der Schreibmaschinen, in die Robert Redford und Dustin Hoffman als Washington Post-Reporter am Ende ihre Watergate-Enthüllungen tippten, direkt übergeblendet werden zu dem Geräusch der Tickermeldungen, die die Konsequenzen der Geschichte bis zum Rücktritt von US-Präsident Richard Nixon protokollierten.
Umwege und Entdeckungen
Pakulas Watergate-Film ist für Spotlight schon deshalb ein Bezugspunkt, weil die Geschichten familiär verbunden sind: War es seinerzeit der von Jason Robards gespielte Washington Post-Chefredakteur Ben Bradlee, der den jungen Lokaljournalisten Woodward und Bernstein den Rücken freihielt, so gehört zu den Vorgesetzten des Spotlight genannten Investigationsteams beim Boston Globe nun John Slattery als sein Sohn, Ben Bradlee jr.
Die Unbestechlichen sind stilbildend und tonangebend auch für die Art, in der Tom McCarthy seine Geschichte erzählt. Man könnte die Darstellung von schlichter Ermittlungstätigkeit in einem guten Sinne altmodisch nennen, was durch den Umstand verstärkt wird, dass die mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Recherchen bereits 15 Jahre zurückliegen. Es geht um Zeit, Abwägung, Umwege, Entdeckungen. Damals wurde ein System des Kindesmissbrauchs durch die katholische Kirche ermittelt, an dem allein im Erzbistum Boston 249 Täter beteiligt waren.
Distanz von der Macht
Den Anstoß für die Recherchen gibt der neue Herausgeber Marty Baron (von feinsinniger Zurückhaltung: Liev Schreiber), bezeichnenderweise ein Mann von außen. Spotlight reiht sich mit seiner Beschreibung eines Klüngels zwischen lokalen Eliten ein in eine Reihe von Boston-Filmen, die den Filz in der Stadt zumeist über Gangstergeschichten beschreiben, zuletzt etwa Black Mass mit Johnny Depp. In dem auf der Ebene persönlicher Auseinandersetzungen auffällig undramatischen Film stiftet dieses Moment den größten Konflikt: dass der in der Stadt verwurzelte Spotlight-Chef Walter "Robby" Robinson (ein guter Patriarch: Michael Keaton) die Geschichte selbst nie gesehen hat, obwohl ihm die Indizien immer wieder vor Augen standen.
Der Film nach einem Buch von Tom McCarthy und Josh Singer handelt nicht von der Entdeckung von etwas völlig Neuem, sondern zeigt, wie Verdrängtes, Ignoriertes, Übersehenes sichtbar gemacht wird. Darin ist Spotlight zeitgemäß für Fragen des journalistischen Ethos – die Recherchen werden erst möglich, als sich die Reporter von der scheinbar gegebenen Nähe mit der Macht der Kirche in der städtischen Gesellschaft bewusst distanzieren.
Spotlight ist in seinem auf Gründlichkeit bedachten Tempo und dem sanften Pathos auch ein Schauspielerfilm – allerdings geht es hier weder um investigatives Overacting noch um verhärmte Zyniker. Gezeigt werden vielmehr ernsthafte, grüblerische, tastende Menschen bei der Arbeit. Vor allem Mark Ruffalo erfindet einem an sich unspektakulären Berufsstand den Typus des ungelenk-ausgebeulten Sturkopfs: Sein Mike Rezendes ist so sehr von seiner Arbeit eingenommen, dass er auf die eigene Außenwirkung keine Zeit verschwendet. Und mitunter die Hände auch nicht aus den Hosentaschen nimmt, wenn er sich hinsetzt. (Matthias Dell, 24.2.2016)