Unser System führt zu einer zerstörenden, die Natur ausbeutenden Wirtschaft, sagt Tim Jackson.

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Diesen Baum auf den Fidschi-Inseln hat der Zyklon Winston auf den Kopf gestellt. Das Land ist stark vom Klimawandel bedroht. Ökonom Jackson will gegensteuern und das System an den Wurzeln packen.

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Das ständige Streben nach Wirtschaftswachstum mache uns blind für die wirklich wichtigen Dinge in der Politik, sagt der Ökonom Tim Jackson. Ab einem gewissen Level mache uns Wachstum sowieso nicht mehr glücklicher, gleichzeitig würden Umwelt und Klima nicht mehr länger mitspielen, sagt der Forscher, der durch den Bericht "Prosperity Without Growth" für die britische Regierung bekannt wurde. Wenn Entwicklungsländer wirtschaftlich aufholen sollen, müsse die reiche Welt ihre CO2-Emissionen massiv zurückfahren. Auch der Klimawandel lasse sich wohl nur durch weniger Wachstum aufhalten.

Die ungekürzte, nicht bearbeitete Version des Interviews.

STANDARD: Sie plädieren für eine Welt ohne Wirtschaftswachstum. Erklären Sie kurz, warum.

Jackson: Wir müssen das jetzige System ernsthaft hinterfragen. Nur dem Wachstum nachzujagen hat große Konsequenzen für alle. Was den Verbrauch von Ressourcen betrifft, die Schädigung der Umwelt, den Klimawandel, den Verlust an Biodiversität, die Auswirkungen auf unsere Böden. Es beeinflusst auch, was für die Ärmsten der Welt noch an Steigerung der Lebensqualität drinnen ist.

STANDARD: Wieso?

Jackson: Reiche Länder haben einen großen materiellen Fußabdruck. Sie haben den, weil sie ihre Wirtschaft so schnell wie möglich wachsen lassen wollen. In vielen armen Ländern gibt es noch Aufholungsbedarf, es gibt keine ordentlichen sanitären Einrichtungen, keine stabile Stromversorgung, nicht ausreichend zu essen, die Kindersterblichkeit ist hoch. Das alles kann man beheben, wenn die Einkommen steigen. Ab etwa 10.000 Dollar Einkommen pro Kopf kriegt man diese Probleme in den Griff. Danach ist der Fortschritt nur mehr gering.

STANDARD: Sie meinen also, wenn diese Länder aufschließen und wir weiterwachsen wie bisher, kollabiert das Ökosystem.

Jackson: Schauen wir auf das, was in Paris beschlossen wurde. Maximal zwei Grad Erwärmung, wenn möglich 1,5 Grad. Für zwei Grad können wir nur mehr 1.000 Gigatonnen CO2 ausstoßen, für 1,5 Grad 350 Gigatonnen. Derzeit stoßen wir weltweit jährlich 35 Gigatonnen aus. Die Grenze hätten wir also in zehn Jahren erreicht. Wenn man sich dann fragt, wer soll das restliche CO2 ausstoßen dürfen, ist das relativ klar: Es wäre nicht Österreich oder Großbritannien, es wäre Burkina Faso, Subsahara-Afrika. Wir wollen die Klimaerwärmung bremsen, haben aber noch nicht ganz verstanden, was das für Auswirkungen hätte.

STANDARD: Sie halten eine "Dekarbonisierung" der Wirtschaft also für unrealistisch?

Jackson: Wenn Sie mir sagen, wir schaffen eine technologische Revolution und können weiterwachsen, fantastisch. Wenn wir dann zur selben Zeit nicht die Böden gefährden, die Wasserversorgung, die Biodiversität, die seltenen Metalle nicht zu schnell verbrauchen, dann ist das eine Strategie. Aber in diese Richtung gehen wir nicht. Unser System führt zu einer zerstörenden, die Natur ausbeutenden Wirtschaft, die Neuheiten um der Neuheit willen für die Konsumenten bringt und die Lebensqualität nur mehr sehr wenig verbessert.

STANDARD: Was müsste dann getan werden?

Jackson: Es gibt kein politisches Rezept dafür, das Wachstum abzudrehen. Es gibt Rezepte dafür, genügend gute Jobs zu schaffen, Gesundheit und Bildung, sozialen Schutz, viel Freizeit, Handwerk. Wir brauchen Investitionen in Technologien, die Ressourcen erhalten und kein CO2 verbrauchen. Dann muss man das Finanzsystem stabilisieren, die rücksichtslose Spekulation mit Rohstoffen stoppen. Gehen wir das alles an, und lassen wir Wachstum passieren, wo es passiert. Wenn am Ende eine wundervolle grüne Ökonomie herauskommt, die eine fantastische Tech-Revolution geschafft hat, und die Wirtschaftsleistung steigt weiter und weiter an, dann ist das okay. Es ist die Fixierung auf das Wachstum, die uns die wirklich relevanten Dinge vergessen lässt.

STANDARD: Was meinen Sie mit "das Finanzsystem stabilisieren"?

Jackson: Das Finanzsystem soll sich auf seine Kernaufgabe konzentrieren. Wenn wir jung sind, wollen wir Häuser kaufen, wenn wir alt sind, eine Pension haben. Dafür müssen wir Geld borgen beziehungsweise ansparen. Es muss Schluss sein mit rücksichtloser Spekulation. Hypothekenkredite und Pensionsfonds, das sind zwei große Opfer der Finanzkrise.

STANDARD: In Österreich brauchen wir den Finanzsektor fast gar nicht für die Pensionen.

Jackson: Sehr clever, ich könnte nach Österreich ziehen. Das Finanzsystem schafft sehr viel Instabilität, diesem finanziellen Wahnsinn unsere Zukunft anzuvertrauen ist hinterfragenswert. Das österreichische System ist definitiv eine Option für den Mix.

STANDARD: Derzeit brauchen wir auch Wirtschaftswachstum, um Jobs für die meisten Menschen zu schaffen. Ist Arbeitszeitverkürzung für Sie ein Thema?

Jackson: Wenn man sich das einmal historisch anschaut, haben wir das immer wieder gemacht. Einen Teil der Produktivitätsgewinne haben wir für höhere Löhne verwendet, einen Teil für eine Verkürzung der Arbeitszeit. Das kann eine der Lösungen sein. Eine andere: Wir bemühen uns nicht mehr so sehr, produktiver zu werden. Produktivität ist gut, wo es um manuelle, harte Arbeit geht. Wenn es um Bildung, Handwerk, Kunst oder Pflege geht, heißt produktiver zu sein oft, weniger Zeit zu haben. Es gibt Raum für beide Lösungen. Aber die Arbeitsproduktivität steigt sowieso nicht mehr so schnell, in den 1960ern noch um vier Prozent im Jahr, in den 2010ern um 0,5 Prozent. Das sollte man nicht unbedingt als etwas Schlechtes sehen, eher als einen Teil des Umstiegs zu einer reiferen Ökonomie. (Andreas Sator, 25.2.2016)